AMB 2012, 46, 59

Wissenschaftliche Irreführung durch Publikationsplanung (Ghost management) und Ghostwriting

Zusammenfassung: Die medizinische Literatur, insbesondere sekundäre Quellen wie Reviews, Metaanalysen und Briefe an Herausgeber werden offensichtlich durch Ghost management und Ghostwriting stark von pharmazeutischen Unternehmen (pU) manipuliert und dadurch als Marketinginstrument verwendet. Professionelle Ghostwriting-Agenturen werden beauftragt, Artikel mit positivem Fazit zum Nutzen neuer Arzneimittel zu verfassen. Als (Gast)-Autoren werden dabei renommierte „Key opinion leaders” genannt. Die finanzielle Abhängigkeit medizinischer Verlage bzw. Zeitschriften von Werbeanzeigen und Sonderdrucken pharmazeutischer Unternehmen sorgen dafür, dass diese Artikel dann häufig auch in führenden medizinischen Fachzeitschriften publiziert werden. Das wahre Ausmaß des Ghost management und Ghostwriting und der daraus resultierenden wissenschaftlichen Irreführung ist nicht klar. Alle an medizinischen Publikationen Beteiligte – Autoren, akademische Institutionen, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften, Verlage und vor allem pharmazeutische Unternehmen – sind deshalb aufgerufen, durch korrektes Verhalten ihren Beitrag zu leisten bei der Beseitigung dieser offensichtlich korrupten Praktiken.

1500 Originaldokumente aus einem Rechtsstreit gegen den Arzneimittelhersteller Wyeth Pharmaceuticals weisen nach, dass die Firma in den 90er Jahren im großen Umfang Ghostwriting-Agenturen angeheuert hat, um ihre Arzneimittel Prempro® und Premarin® zur sog. Hormonersatz-Therapie (HRT) zu vermarkten. Adriane Fugh Berman von der Georgetown Universität Washington hat diesen Vorgang in dem frei zugänglichen Online-Journal PLoS Medicine sehr detailliert aufgearbeitet (1). Demnach verdiente Wyeth bis 2002 über 2 Mrd. US-$ mit diesen Arzneimitteln bis bekannt wurde, dass die HRT das Risiko für Brustkrebs und Thrombosen erhöht. In den USA haben daraufhin > 10.000 betroffene Frauen gegen die Hersteller Wyeth und Pfizer geklagt. 8.000 „Fälle” wurden zu einer Sammelklage in Arkansas zusammengefasst. Der verantwortliche Richter ordnete die Veröffentlichung aller Prozessunterlagen an. Hierdurch wurde öffentlich gemacht, dass zwischen 1997 und 2005 mindestens 50 wissenschaftliche Artikel zur HRT primär nicht von den aufgeführten Autoren verfasst wurden, sondern von Ghostwriting-Agenturen im Auftrag von Wyeth. Bei diesen Publikationen (1) handelte es sich überwiegend um Editorials, Briefe an den Herausgeber und Reviews – aber auch um klinische Studien wie die sog. Women’s HOPE-Studie (z.B. 8, 9). Alle diese Artikel bewerteten den Nutzen zu positiv und verharmlosten die Risiken bzw. Schäden der HRT. Sie führten dadurch die Leser der Artikel in die Irre und verstießen gleichzeitig gegen ein Grundprinzip der ärztlichen Berufsethik: Patienten nicht zu schaden („Primum non nocere”).

Laut Prozessunterlagen beauftragte Wyeth im Jahre 1997 die Firma DesignWrite Inc. damit, innerhalb von zwei Jahren über 30 Fachartikel zur HRT zu verfassen. Wie das ablief, zeigt ein gut dokumentierter Fall aus dem Jahre 2003. Die Agentur DesignWrite hatte einen 14-seitigen Artikel über die Therapie von Hitzewallungen an Dr. Gloria Bachman geschickt und sie gebeten, als Autorin zu fungieren („Guest author”). Dr. Bachman von der Robert Wood Johnson Medical School ist eine „Key opinion leader” im Bereich der Gynäkologie. Die Wissenschaftlerin schlug eine kleine Veränderung im Manuskript vor und erklärte sich per E-Mail mit dem Inhalt und ihrer Autorschaft einverstanden. Der Artikel erschien daraufhin 2005 nach „Peer review” im Journal of Reproductive Medicine unter ihrem Namen (2). In diesem Review wird die HRT als Goldstandard der Therapie postmenopausaler Hitzewallungen bezeichnet. DesignWrite erhielt für diesen Artikel 25.000 US-$ von Wyeth. Beim Prozess konnte nachgewiesen werden, dass DesignWrite zwischen 1997 und 2003 für Wyeth weitere 50 Originalartikel, über 50 Abstracts sowie Poster und Journal Supplements verfasst hat. Diese erschienen in renommierten Zeitschriften, darunter The American Journal of Obstetrics and Gynecology oder The International Journal of Cardiology. Die Herausgeber wurden nie über die wahre Urheberschaft der Artikel informiert.

Der Leistungsnachweis von DesignWrite – nicht nur bei den beiden oben genannten Arzneimitteln zur HRT – ist „beeindruckend” und konnte noch 2010 im Internet auf der Website der Firma nachgelesen werden (1). Über einen Zeitraum von 12 Jahren (1997-2009) plante, initiierte und/oder managte DesignWrite unter anderem Hunderte von Beratergremien („Advisory boards”), tausende Abstracts und Poster, etwa 500 Publikationen zu medizinischen Themen, mehr als 200 Satellitensymposien und mehr als 10.000 „Speakers’ bureau”-Programme. Heute gibt sich die Firma weniger auskunftsfreudig, vermutlich als Folge ihrer inzwischen publik gewordenen Aktivitäten und dem daraus resultierenden enormen Ausmaß der wissenschaftlichen Irreführung von Ärzten. Aber das Geschäft mit dem medizinischen Ghostwriting, einem wichtigen Bestandteil der Marketingstrategien von pU (vgl. 15), scheint nach wie vor sehr profitabel zu sein. Es gibt zwei internationale Fachgesellschaften für Publikationsplanungen mit jeweils über 1000 Mitgliedern: die „International Society for Medical Publication Professionals” (ISMPP; 3) und „The International Publication Planning Association” (TIPPA; 4). Sergio Sismondo von der Queens Universität in Ontario/Kanada war zu Gast auf deren Jahrestagungen. Er berichtete auf der diesjährigen Generalversammlung der International Society of Drug Bulletins (ISDB) in Vancouver, Kanada, dass sich die Verleger der großen medizinischen Zeitschriften hier die Klinke in die Hand gaben, um für Veröffentlichungen in ihren Journals zu werben (5, 6). So inserierten die „Annals of Internal Medicine” im Kongressband der ISMPP: „Give your advertising dollar the greatest impact” und das „New England Journal of Medicine”: „Location is everything, no matter what you’re selling”. Anscheinend sind also nicht nur die pU, sondern auch die großen Verlage Nutznießer des Ghostwriting. Diese finanzieren sich zu einem beträchtlichen Anteil mit den Anzeigen und Einnahmen für Sonderdrucke durch pU, profitieren aber auch von einer Steigerung des Impact-Faktors ihrer Zeitschriften durch Publikation großer, von pU gesponserter, häufig auch geschriebener Artikel (10, 11).

Ghostwriting ist generell sehr schwer nachzuweisen. Oft finden sich Hinweise im Kleingedruckten oder in den Aussagen bzw. im Stil der Publikation. Letztlich liefern aber nur Gerichtsprozesse klare Beweise. Mittlerweile wurde Ghostwriting unter anderem für Gabapentin, Rofecoxib und besonders in den Publikationen zu Antidepressiva (z.B. Paroxetin, Sertralin) nachgewiesen (12). Zu Sertralin finden sich 85 Artikel in begutachteten Fachzeitschriften und zu Rofecoxib 96 Artikel. Es besteht der Verdacht, dass viele dieser Artikel nicht von den auf der Publikation angegebenen Autoren ursprünglich verfasst wurden und dass Ghostwriting in der medizinischen Literatur, vor allem bei den von der Industrie initiierten Studien, weit verbreitet ist (7, 13, 14).

Von pU beauftragtes Ghostwriting ist jedoch nur eine Facette eines insgesamt für die Öffentlichkeit undurchsichtigen Publikationsplans – besonders vor und unmittelbar nach Zulassung eines neuen Arzneimittels. Hierunter versteht man den meist streng geheimen, sorgfältig geplanten und gesteuerten Informationsprozess bis zur Markteinführung eines neuen Arzneimittels, der auch als Ghost management bezeichnet wird (16, 17). Dieser Prozess wird von großen Teams, überwiegend mit Experten aus dem Bereich Marketing, bei den pU festgelegt. Die Publikationen zu einem neuen Arzneimittel beginnen in der Regel mit „Pre-Launch”-Veröffentlichungen. Sie verfolgen das Ziel, viele Monate vor der Markteinführung die Aufmerksamkeit auf einen neuen, angeblich „innovativen” Wirkstoff zu lenken und dadurch Bedarf zu entfachen. Angesehene Wissenschaftler mit engen Kontakten zu pU (Key opinion leaders) berichten über ein bestimmtes Problem und deklarieren dringenden Handlungsbedarf (Zitat einer Werbeagentur: „Building your brand before its birth”). Für einige Arzneimittel sollen in der Vergangenheit bis zu 15% aller Werbeaufwendungen in dieser Pre-Launch-Phase ausgegeben worden sein. Im weiteren Verlauf werden dann vorwiegend Ergebnisse der Phase-II/-III-Studien zum neuen Arzneimittel publiziert und nach der Zulassung schließlich Sekundäranalysen, Metaanalysen und Reviews bestellt, die häufig von sehr gut bezahlten „fremden Federn” verfasst werden. Alles in allem entsteht der Eindruck, dass viele medizinische Fachartikel heute mehr den Gesetzen der Werbung als denen der Wissenschaft gehorchen und deshalb auch ärztliche Entscheidungen über die medikamentöse Therapie häufiger auf Marketing- als auf Evidenz-basierter Medizin beruhen (12).

Es wird sicher nicht ausreichen, an pU, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften und Autoren zu appellieren, das weiterhin intensiv praktizierte Ghost management oder Ghostwriting rasch zu beenden. Zwei im Jahr 2011 abgehaltene Workshops haben sich deshalb diesem wichtigen Thema gewidmet und verschiedene Gegenmittel gegen diese Art wissenschaftlicher Irreführung vorgeschlagen (18). Hierzu zählen rechtliche Schritte sowie Sanktionen bei bewusster Täuschung gegen pU, aber auch „Ghost authors” und „Guest authors” – d.h. Autoren, die wesentliche Abschnitte einer Publikation verfassen, ohne genannt zu werden, oder aber ehrenhalber als Autoren auf der Publikation erscheinen, obwohl sie die heute geltenden Anforderungen an eine Autorschaft nicht erfüllen (19). Darüber hinaus wurde eine gründliche Revision der aktuellen Empfehlungen des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) diskutiert, die unter anderem vorsehen sollte, dass von pU beauftragte professionelle Verfasser medizinischer Artikel auch als Autoren genannt werden. Wenige medizinische Fachzeitschriften (z.B. Neurology) haben inzwischen begonnen, die Transparenz hinsichtlich der Autorenschaft zu verbessern und dadurch dem Ziel einer größeren Seriosität wissenschaftlicher Publikationen näherzukommen (20).

Literatur

  1. Fugh-Berman, A.J.: PLosMed. 2010, 7, e1000335. Link zur Quelle
  2. Bachmann, G.A.: J.Reprod. Med. 2005, 50, 155. Link zur Quelle
  3. http://www.ismpp.org (Zuletztaufgerufen 10.8.2012) Link zur Quelle
  4. http://www.publicationplanningassociation.org(Zuletzt aufgerufen 10.8.2012). Link zur Quelle
  5. Sismondo, S.: ManagingKey Opinion Leaders and their Publications. ISDB General Assembly 2012.24.-27.3.2012; Vancouver, Kanada.
  6. Sismondo, S., undNicholson, S.H.: J. Pharm. Pharm.Sci. 2009, 12, 273. Link zur Quelle
  7. Sismondo, S.: PLoS Med. 2007, 4, e286. Link zur Quelle
  8. Lindsay, R., et al.(HOPE = Women’s Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen):JAMA 2002, 287, 2668. Link zur Quelle
  9. Utian, W.H., et al.(HOPE = Women’s Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen):Fertil. Steril. 2001, 75, 1065. Link zur Quelle
  10. Lundh, A., et al.: PLoSMed. 2010, 7, e1000354. Link zur Quelle  Vgl. AMB 2010, 44,83. Link zur Quelle
  11. AMB 2011, 45, 36. Link zur Quelle
  12. Spielmans, G.I., undParry, P.I.: J. Bioeth. Inq. 2010, 7, 13. (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012) Link zur Quelle
  13. Gøtzsche, P.C., et al.:PLoS Med. 2007, 4, e19. Link zur Quelle
  14. Wislar, J.S., et al.: BMJ2011, 343, d6128. Link zur Quelle
  15. http://apps.who.int/medicinedocs/documents/s18659en/s18659en.pdf(Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012). Link zur Quelle
  16. Sismondo, S., undDoucet, M.: Bioethics 2010, 24, 273. Link zur Quelle
  17. Lieb, K., Klemperer, D., Ludwig,W.-D. (Hrsg.): Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe undLösungsmöglichkeiten. Springer-Verlag, Heidelberg 2011. AMB 2012, 46,16b. Link zur Quelle
  18. PloS Medicine Editors:PloS Med 2011, 8, e1001084. Link zur Quelle
  19. http://www.icmje.org/urm_full.pdf(Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012). Link zur Quelle
  20. Baskin, P.K., und Gross, R.A.:BMJ 2011, 343, d6223. Link zur Quelle

 

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