AMB 2013, 47, 12

Was ist ein normaler Body-Mass-Index?

Bei der Beurteilung des Körpergewichts im Hinblick auf Gesundheitsrisiken ist es sinnvoll, das Gewicht auf die Körperlänge zu beziehen. Das geschieht in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und in der klinischen Praxis auf Empfehlungen der WHO durch Berechnung des Body-Mass-Index (BMI), definiert als Gewicht (in Kilogramm) geteilt durch die Körperlänge (in Metern) zum Quadrat. Aufgrund älterer Berechnungen von Lebensversicherungs-Gesellschaften und prospektiver Studien wurde von der WHO im Jahr 1997 wegen einer deutlich erhöhten Mortalität bei BMI < 18 kg/m2 und > 30 kg/m2 das „Normalgewicht” als BMI zwischen 18 und 24 kg/m2 definiert (1). Der BMI-Bereich 25 bis 29 kg/m2 wurde als „Pre-obesity” oder Übergewicht bezeichnet. Adipositas Grad 1, 2 und 3 entspricht den BMI-Bereichen 30-34, 35-39 und ≥ 40 kg/m2.

Durch eine neue Metaanalyse mit systematischem Review aus den National Institutes of Health (NIH) der USA (2) ergeben sich im Hinblick auf das „Normalgewicht” – gemessen am BMI – vermeintlich einige neue Aspekte, die auch bereits in der Tagespresse Beachtung gefunden haben. Zunächst muss festgestellt werden, dass der BMI viele gesundheitsrelevante Aspekte unberücksichtigt lässt wie Geschlecht, Rasse, Fitness, Verhältnis von Muskelmasse zur Fettmasse und Fettverteilung (subkutan, intraabdominell; vgl. 3). Jeder Arzt hält einen erhöhten BMI bei einem muskelkräftigen jungen Menschen für weniger bedenklich als den gleichen BMI bei einer offensichtlich adipösen Person.

Flegal et al. (2) fanden in der Literatur 7.034 Titel, die sich auf das Verhältnis zwischen BMI und allgemeiner Mortalität (All-cause mortality) bezogen. Nach strenger Bewertung der methodischen Qualität wurden 97 Studien über insgesamt 2,88 Mio. Personen und 270.000 spätere Todesfälle analysiert. Alle Studien sind im 138 Zitate umfassenden Literaturverzeichnis enthalten. Es wurde darauf geachtet, sog. „über-adjustierte” Studien, in denen z.B. in den verschiedenen Gewichtsgruppen ein ähnlicher Prozentsatz an Diabetikern oder Hypertonikern enthalten war, kritisch zu bewerten, denn ein bestimmter BMI-Bereich kann ja ein Risiko für die Prävalenz von Diabetes mellitus oder Hypertonie sein.

In allen Auswertungen werden die verschiedenen BMI-Gruppen oberhalb eines BMI von 25 kg/m2 mit dem bisher etablierten Normbereich von 18-24 kg/m2 im Hinblick auf die Lebensdauer (Longevity) nach der Basiserhebung verglichen. Für jede der 97 Studien werden die Hazard Ratios (HR) in umfangreichen Diagrammen aufgetragen und die nach der Größe der einzelnen Studie gewichteten Mittelwerte berechnet. Die Ergebnisse sind heterogen. Es schneiden z.B. die Übergewichtigen (BMI 25-29 kg/m2) beim Vergleich mit Normgewichtigen (BMI 18-24 kg/m2) in vielen Studien zur Mortalität schlechter, in vielen anderen dagegen besser ab. Insgesamt ergibt sich aber in dieser Studie für die Übergewichtigen eine etwas längere Lebensdauer (HR: 0,94; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,91-0,96). Das ist statistisch signifikant.

Beim Vergleich Adipositas Grad 1 mit Normgewicht ist die Lebenserwartung mit einer HR: 0,95 (CI: 0,88-1,01) tendenziell immer noch etwas höher als bei den Normalgewichtigen, während ab BMI 35 kg/m2 (Adipositas Grad 2 und 3 zusammen) die Lebenserwartung mit einer HR von 1,29 (CI: 1,18-1,41) deutlich verkürzt ist. Nach Angaben der Autoren waren diese Ergebnisse unabhängig davon, ob Gewicht und Körperlänge (zum Berechnen des BMI) bei Erhebung der Basisdaten direkt gemessen oder von den Probanden selbst angegeben wurden und ob die verglichenen Kollektive mehr oder weniger stark adjustiert wurden. Interessant sind die Ergebnisse in Abhängigkeit vom Alter der Probanden bei Erhebung der Daten. Für alle Gruppen mit BMI > 25 kg/m2 ist in der Altersgruppe > 65 Jahre der Einfluss des Übergewichts auf die Verkürzung der Lebensdauer geringer als im Gesamtkollektiv der Probanden. Alle Aussagen gelten nur für Menschen ohne chronische Erkrankungen, z.B. Hypertonie, Koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus und onkologische Krankheiten. Chronisch kranke Patienten haben andere Risikofaktoren, die allerdings vom Körpergewicht beeinflusst werden.

Die Studie von Flegal et al. (2) wird in einem Editorial von Heymsfield und Cefalu aus einem biomedizinischen Forschungszentrum der USA kompetent kommentiert (3). Kommentatoren und Autoren sehen in der hier besprochenen Studie den Beginn einer neuen Definition für das als „normal” oder „optimal” bezeichnete Körpergewicht. Der BMI ist jedoch hierfür als Maß nicht ausreichend, denn in der klinischen Praxis muss auch der individuelle Körperbau berücksichtigt werden. Auch wenn nach dieser Studie statistisch ein BMI von 33 kg/m2 allein nicht mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko assoziiert ist, wird man Patienten mit Typ-2-Diabetes oder mit Hypertonie und einem BMI in dieser Höhe raten, das Gewicht zu reduzieren, um die Therapieziele bei diesen Krankheiten besser zu erreichen. Die generelle Aussagekraft dieser Studie ist eingeschränkt, weil nur die allgemeine Sterblichkeit untersucht wurde. Aussagen zur Sterblichkeit bei kardiovaskulären Krankheiten, die vermutlich auch mit dem Körpergewicht assoziiert ist, lassen sich ihr nicht entnehmen.

Mehr Licht in die Beziehung zwischen BMI und Mortalität hatte eine große, zehn europäische Länder umfassende Studie aus dem Jahr 2008 gebracht (4). Hier wurde die Gesamtmortalität in ihrer Assoziation zu enger gefassten BMI-Bereichen ermittelt. Das Mortalitätsminimum lag bei Männern im BMI-Bereich 25 bis < 26,5 kg/m2, und es gab nur geringe Unterschiede im Gesamtbereich von BMI 21,0 bis < 28 kg/m2. Bei Frauen lag das Minimum der Mortalität in einem etwas niedrigeren Bereich, nämlich zwischen BMI 23,5 bis < 25,0 kg/m2, und es gab nur geringe Unterschiede im Gesamtbereich BMI 21 bis < 30 kg/m2. Ab BMI > 30 kg/m2 war bei beiden Geschlechtern das Mortalitätsrisiko aber bereits signifikant erhöht, verglichen mit dem BMI-Bereich 23,5 bis < 25 kg/m2. In dieser Studie war – unabhängig vom BMI – ein größerer Bauchumfang (= vermehrtes abdominales Fett) oder eine höhere „Waist-to-hip ratio” mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.

Fazit: Die hier referierte Metaanalyse (2) ergab, dass bei Probanden mit Übergewicht im Sinne der WHO-Definition (BMI 25-29 kg/m2) das Sterblichkeitsrisiko etwas niedriger ist als beim definierten sog. Normalgewicht (BMI 18-24 kg/m2). Erst oberhalb eines BMI von 35 kg/m2 nahm das Sterblichkeitsrisiko deutlich zu. Eine umfangreiche europäische Studie aus dem Jahr 2008 zeigte, dass ein Bereich BMI 18-24 kg/m2 als Bezugs- und Normgröße des Normalgewichts offenbar zu weit gefasst ist. Bezogen auf ein Normgewicht von BMI 23,5 bis < 25 kg/m2 nahm hier das Sterblichkeitsrisiko bereits ab einem BMI > 30 kg/m2 signifikant zu. Damit bleibt es bei der Feststellung, dass bereits eine Adipositas Grad 1 (BMI-Bereich 30-34 kg/m2) ein Risiko ist. Unabhängig vom BMI ist vermehrtes abdominales Fett (erhöhter Bauchumfang) mit erhöhter Mortalität assoziiert.

Literatur

  1. Kuczmarski, R.J., undFlegal, K.M.: Am. J. Clin. Nutr. 2000, 72,1074. Link zur Quelle
  2. Flegal, K.M., et al.:JAMA 2013, 309, 71. Link zur Quelle
  3. Heymsfield, S.B., undCefalu, W.T.: JAMA 2013, 309, 87. Link zur Quelle
  4. Pischon, T., et al.(43 Ko-Autoren!): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 2105.  Link zur Quelle Erratum: N. Engl. J. Med. 2010, 362, 2433.

 

Schlagworte zum Artikel:

Adipositas, Appetitzügler, BMI, Body-Mass-Index, Gewichtsreduktion, Körpergewicht, Übergewicht,

 

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Endlich die Wunderpille gegen Übergewicht? 2012, 46, 92

Effekte des Cannabinoid-1-Rezeptor-Blockers Rimonabant auf Körpergewicht und Blutfette bei Übergewichtigen 2005, 39, 94

Medikamentöse Therapie der Adipositas? 2000, 34, 09

Body-Mass-lndex und Letalität in einer prospektiven Kohorten-Studie 1999, 33, 93b

 

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