AMB 2011, 45, 91

Teriflunomid bei Multipler Sklerose. Eine plazebokontrollierte Studie

Im N. Engl. J. Med. ist kürzlich eine neue Studie zur Therapie der Multiplen Sklerose (MS) erschienen (1; vgl. auch 2, 3). Getestet wurde Teriflunomid gegen Plazebo. Teriflunomid ist der aktive Metabolit von Leflunomid, das für die Behandlung der Rheumatoiden Arthritis und ANCA-assoziierter Vaskulitiden zugelassen ist. Sanofi-Aventis, der Hersteller des Prüfmedikaments, hat die Studie finanziell unterstützt.

 

Eingeschlossen wurden Patienten mit schubförmiger MS (schubförmig-remittierend, sekundär progredient oder progredient-remittierend), die in den vorausgegangenen zwei Jahren zwei Schübe oder im Jahr zuvor einen Schub erlitten hatten und einen Expanded Disability Status Scale (EDSS)-Score (vgl. 1) von 0 bis 5,5 hatten.

 

Zwei Jahre lang erhielten die Studienteilnehmer nach Randomisierung täglich entweder Plazebo, 7 mg Teriflunomid oder 14 mg Teriflunomid in Tablettenform. Primäre Zielgröße war die Frequenz von Schüben (dargestellt als Zahl der Schübe pro Patientenjahr); relevante weitere Zielgrößen waren Veränderungen des EDSS-Scores, Fatigue, und unerwünschte Ereignisse (UE).

 

Die wesentlichen Charakteristika der etwa 360 Patienten je Gruppe: mittleres Alter 38 Jahre, Anteil der Frauen 70%, Erkrankungsdauer knapp neun Jahre, 90% litten unter schubförmig-remittierendem Verlauf, gut ein Viertel erhielt in den zwei Jahren vor Studienbeginn eine verlaufsmodifizierende Therapie.

 

Die für EDSS-Score und Studienregion adjustierte jährliche Schubfrequenz lag bei 0,54 unter Plazebo, 0,37 unter 7 mg Teriflunomid und 0,37 unter 14 mg Teriflunomid, entsprechend einer relativen Risikoreduktion (RRR) unter Verum von je ca. 31% (p < 0,001). Eine anhaltende klinische Verschlechterung trat bei 27,3% bzw. 21,7% und 20,2% der Patienten auf. Die RRR betrug 23,7% für 7 mg/d (p = 0,08) und 29,8% für 14 mg/d Teriflunomid (p = 0,03), jeweils gegenüber Plazebo. Auch die Gesamtzahl der UE war dosisabhängig, jedoch ohne statistisch signifikante Unterschiede. Typische UE für Teriflunomid scheinen Durchfall, Übelkeit, dünneres Haar und ALAT-Erhöhungen zu sein – deutlich häufiger als in der Plazebo-Gruppe. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass für eine umfassendere Beurteilung der Arzneimittelsicherheit länger dauernde Studien notwendig sind.

 

Ein weiterer Punkt verdient Beachtung. Unter Plazebo hatten 17 von 363 Patienten vier oder mehr Schübe während der zweijährigen Studiendauer, was wahrscheinlich mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands einherging. Unter Teriflunomid waren es deutlich weniger, nämlich drei von 365 (7 mg/d) bzw. sechs von 358 (14 mg/d). Dies spricht zwar ebenfalls für die Wirksamkeit des Prüfmedikaments, aber welche Therapie hätten die Patienten der Plazebo-Gruppe erhalten, hätten sie sich nicht zur Teilnahme an dieser Studie entschieden? Als etablierte und empfohlene Therapie können Interferon beta und Glatiramerazetat gelten (2, 4). Natürlich ist nicht vorherzusagen, ob die Patienten der Plazebo-Gruppe davon profitiert hätten, aber es bleibt die generelle Frage: Sind Studien mit Plazebo-Gruppe ethisch zulässig, wenn etablierte Therapien vorhanden sind und wenn irreversible Schäden durch Verzögerung einer wirksamen Therapie entstehen können? Die Antwort einer internationalen Arbeitsgruppe auf diese Frage zu klinischen Studien bei MS lautete: „Ja, unter bestimmten Bedingungen” (5): 1. wenn Patienten die Behandlung mit vorhandenen Therapien ablehnen. 2. wenn Patienten auf vorhandene Therapien nicht angesprochen haben. 3. in Umgebungen mit eingeschränkten Ressourcen. Es wird in der Publikation der TEMSO-Studie nicht deutlich, ob diese Bedingungen bei Einschluss der Patienten in die Plazebo-Gruppe berücksichtigt wurden. Um den Stellenwert der neuen Substanz Teriflunomid erkennen zu können, hätte in einer Gruppe die Wirkung eines etablierten Arzneimittels vergleichend mitgetestet werden müssen (6). Wieder einmal wird deutlich, dass Arzneimittelstudien wenig aussagekräftig und manchmal sogar ethisch problematisch sind, wenn sie nur plazebokontrolliert sind und eine etablierte wirksame Therapie zum Vergleich fehlt.

 

Fazit: Teriflunomid (7 mg/d und 14 mg/d) reduzierte bei Patienten mit MS in einer Zweijahresstudie im Vergleich mit Plazebo statistisch signifikant die Zahl der Schübe. Für die Beurteilung der Sicherheit sind jedoch längere Studien erforderlich. Plazebokontrollierte Arzneimittelstudien bei schubförmiger MS sind nach unserer Einschätzung ethisch problematisch, denn schließlich wird den Patienten, die Plazebo erhalten, längere Zeit eine potenziell wirksame Behandlung vorenthalten.

 

Literatur

  1. O’Connor,P., et al. (TEMSO = TEriflunomide Multiple Sclerosis Oraltrial): N. Engl. J. Med. 2011, 365, 1293. Link zur Quelle
  2. AMB2010, 44, 41. Link zur Quelle
  3. AMB2010, 44, 80b. Link zur Quelle
  4. Leitlinien fürDiagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. überarbeitete Auflage, GeorgThieme Verlag Stuttgart 2008, S. 654.
  5. Polman,C.H., et al.: Neurology 2008, 70, 1134. Link zur Quelle
  6. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle

 

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