AMB 2013, 47, 05
Senken Statine kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz?
Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI) im Vor-Dialyse-Stadium haben ein etwa gleich hohes Risiko für arteriosklerotische kardiovaskuläre (kv) Ereignisse wie gleich alte Patienten mit gesicherter Koronarer Herzkrankheit (1). Bei Dialyse-Patienten ist das kv Risiko im Vergleich mit Nierengesunden um ein Vielfaches erhöht (2). Unabhängig von der Konzentration der Lipide im Blut werden deshalb viele Patienten mit CNI – obwohl die Evidenz gering ist – mit Statinen oder anderen Lipidsenkern behandelt. In den Ann. Intern. Med. erschienen jetzt gleich zwei neue Metaanalysen (3, 4) zur Effizienz dieser Therapie.
S.C. Palmer und eine internationale Gruppe von Autoren (3) werteten insgesamt 80 randomisierte Studien aus, in denen die Effekte einer Statin-Therapie bei 51.099 CNI-Patienten (Stadium bzw. mittlere Kreatinin-Clearance nicht näher angegeben) mit Plazebo oder keiner lipidsenkenden Therapie verglichen wurden. In den Studien wurden folgende Statine angewendet: Atorva-, Fluva-, Lova-, Prava-, Simva-, Rosuvastatin sowie Simvastatin plus Ezetimib. Die Interventionsdauer betrug 0,5-6 Jahre. Der Endpunkt „Größere kv Ereignisse“ wurde ebenfalls nicht genauer definiert. Weitere Endpunkte waren Letalität allgemein, kv Letalität sowie tödliche oder nicht-tödliche Myokardinfarkte oder Schlaganfälle. Die Ergebnisse werden als Relatives Risiko = RR (95%-Konfidenzintervall) unter Statinen im Vergleich mit den Kontroll-Gruppen mitgeteilt.
Bei Patienten mit CNI ohne Dialyse wurden durch Statine folgende Endpunkte der Studie günstig beeinflusst:
- Kv Ereignisse allgemein: RR 0,76 (0,73-0,80),
- Kv Letalität: RR 0,78 (0,68-0,89),
- Allgemeine Letalität: RR 0,81 (0,74-0,88).
Diese Ergebnisse waren hoch-signifikant. Das Schlaganfall-Risiko und der Verlauf der CNI wurden hingegen nicht signifikant beeinflusst.
Bei Dialysepatienten lagen die RR-Werte bei den genannten Endpunkten zwischen 0,94 und 0,96, wobei allerdings die Konfidenzintervalle den Wert von 1,0 jeweils überschritten, so dass die Effekte nicht signifikant waren. Zuverlässige Ergebnisse von nierentransplantierten Patienten ließen sich nicht ermitteln.
Angeblich hatten Statine keinen oder nur einen geringen Effekt auf die Inzidenz von Karzinomen, die Leberfunktion und auch auf die bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) erhöhte CK/Myalgie. Gerade die letzte Aussage lässt erhebliche Zweifel an der Präzision der Datenerhebung aufkommen; allerdings wurden die UAW bei nur etwa der Hälfte der Studien systematisch erfasst.
A. Upadhyay et al. aus Boston und Würzburg (4) werteten in ihrer Metaanalyse nur 18 randomisierte, kontrollierte Studien zur Statin-Therapie aus (alle o.g. Statine betreffend), davon zwei Studien, in denen Simvastatin mit Ezetimib kombiniert war. Fünf Studien betrafen ausschließlich Patienten mit CNI (Stadium 3-5), und 13 größere Studien erfassten CNI-Patienten als Untergruppen der Allgemeinbevölkerung. Die Dauer der Studien betrug 2-5 Jahre. Die Ergebnisse werden hier nicht nach dem Schweregrad der CNI (d.h. nicht mit oder ohne Dialysepflichtigkeit) mitgeteilt.
Die Ergebnisse sind wie folgt:
- Kv Ereignisse: RR 0,78 (0,71-0,86); p < 0,001. Wurden aus diesem Endpunkt die „kv Interventionen“ herausgenommen, dann war der Effekt von Statinen nicht mehr signifikant.
- Myokardinfarkt: RR 0,74 (0,67-0,81),
- Kardiale Letalität: RR 0,82 (0,74-0,91).
Zur Gesamtletalität werden wegen der Heterogenität der Ergebnisse und der Studien keine numerischen Aussagen gemacht. Wie in der anderen Metaanalyse wurde der Verlauf der CNI durch Statine nicht beeinflusst. Aussagen zu UAW sind in beiden Metaanalysen ähnlich spärlich und von zweifelhaftem Aussagewert.
Die Autoren dieser Arbeit heben hervor, dass sich der Effekt von Statinen offenbar auf die Reduzierung solcher kv Ereignisse beschränkt, die durch Athero-/Arteriosklerose verursacht werden, während günstige Effekte auf Gefäßverkalkungen und auf Kardiomyopathien, die bei lange bestehender Niereninsuffizienz häufig sind, nicht zu erwarten sind.
Fazit: Zwei Metaanalysen mit unterschiedlicher Auswertung jeweils recht heterogener Studien kommen zu folgenden Ergebnissen: Statine scheinen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (außer für Schlaganfälle) und die kardiovaskuläre Letalität auch bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz vor dem Dialysestadium zu reduzieren. Bei Dialysepatienten sind die Effekte offenbar deutlich geringer. Die Daten zur Statin-Therapie bei Patienten nach Nierentransplantation konnten nicht beurteilt werden. Insgesamt sind die Aussagen dieser beiden Metaanalysen nicht sehr verlässlich, weil die berücksichtigten Studien in Methodik (Definition der Endpunkte) und Ergebnissen sehr heterogen waren.
Literatur
- Foley, R.N., et al.:Am. J. Kidney Dis. 1998, 32, S112.
- de Jager, D.J., et al.: JAMA2009, 302, 1782.
- Palmer, S.C., et al.: Ann.Intern. Med. 2012, 157,263.
- Upadhyay, A., et al.:Ann. Intern. Med. 2012, 157, 251.
Schlagworte zum Artikel:
Akutes Koronarsyndrom, Angina pectoris, Apoplektischer Insult, Arteriosklerose, Cholesterin, Cholesterinsynthese-Hemmer, CSE-Hemmer, Dialysepatienten, Fluvastatin, Herzinfarkt, Hirninfarkt, HMG-CoA-Reduktase-Hemmer, Hypercholesterinämie, Koronare Herzkrankheit, Lipidsenker, Lovastatin, Myokardinfarkt, Niereninsuffizienz, Pravastatin, Rosuvastatin, Schlaganfall, Simvastatin, Statine,
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