AMB 2013, 47, 04
Pausieren von oralen Antikoagulanzien bei Vorhofflimmern ist risikoreich
Die orale Antikoagulation (OAK) bei Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Thromboembolierisiko (CHADS2-Score > 1) ist eine der wirksamsten Prophylaxemaßnahmen in der inneren Medizin (1). Entsprechend ist sie heute auch sehr weit verbreitet. Ein Problem tritt bei oral antikoagulierten Patienten auf, wenn sie einen operativen Eingriff benötigen und die OAK pausiert werden soll. Die INR-Einstellung gerät dann oft längere Zeit durcheinander, und ein Rebound der Gerinnung mit Thromboembolien wird befürchtet.
Um dieses Risiko zu quantifizieren, hat eine Gruppe aus Dänemark eine umfangreiche retrospektive pharmakoepidemiologische Studie durchgeführt (2). Hierzu wurden die Daten aus zwei nationalen Datenbanken zusammengeführt: aus dem „Danish National Patient Registry”, das alle stationären Behandlungen in Dänemark inklusive Behandlungsdiagnosen seit 1978 speichert, und aus dem „Danish Registry of Medicinal Product Statistics”, das alle in dänischen Apotheken abgegebenen Arzneimittel seit 1995 beinhaltet. An Hand der Sozialversicherungsnummer können die Daten miteinander verknüpft und wichtige Analysen hinsichtlich der Patienten durchgeführt werden. Mit dieser Methode hat die Gruppe um Morton Lock Hansen bereits 2010 wichtige Informationen über die Inzidenz von Blutungskomplikationen unter der sogenannten antikoagulatorischen Triple-Therapie geliefert (3; vgl. 4).
In die neueste Analyse wurden nun alle Dänen über 30 Jahre eingeschlossen, bei denen zwischen 1997 und 2008 während eines stationären Aufenthaltes erstmals die Diagnose Vorhofflimmern oder -flattern gestellt wurde und die neu mit Warfarin oral antikoaguliert wurden. Ausgeschlossen wurden Patienten mit valvulärem Vorhofflimmern (Mitral- oder Aortenvitium) und Patienten mit einer Leber- oder Krebserkrankung. Die Komorbiditäten der Patienten wurden an Hand der kodierten ICD-Diagnosen erfasst und mit Hilfe der übrigen Arzneimittelverordnungen abgeschätzt. So wurden beispielsweise Patienten, die mit zwei verschiedenen Antihypertensiva behandelt wurden als Hypertoniker geführt und Patienten mit oralen Antidiabetika als Diabetiker. Aus den Diagnosen konnte auf diese Weise im Nachhinein ein CHADS2-Score für das thromboembolische Risiko bei Vorhofflimmern errechnet werden. Die individuell eingenommene Warfarin-Dosis wurde an Hand der zeitlichen Intervalle zwischen den Rezepteinlösungen abgeschätzt. Wenn diese üblichen Intervalle überschritten und der Patient nicht stationär behandelt wurde, ging man von einer Unterbrechung der OAK aus. Für jeden Patienten wurden die Häufigkeit und die Dauer der Behandlungsunterbrechungen registriert. Der kombinierte primäre Endpunkt der Studie war Rehospitalisierung wegen Thromboembolie (Erstereignis) oder Tod.
Ergebnisse: Die gesamte Kohorte umfasste knapp 49.000 Patienten aus 10 Jahren (61% Männer, mittleres Alter 71 Jahre, medianer CHADS2-Score 1,4). Während der gesamten Beobachtungsperiode wurden insgesamt 16.738 Hospitalisierungen wegen Thromboembolien bzw. Todesfälle registriert.
Während einer mittleren Nachbeobachtung von 3,5 Jahren wurde die OAK bei 72,3% der Patienten mindestens einmal unterbrochen oder ganz abgesetzt. Das ist viel häufiger als man bisher angenommen hat. Leider ist wegen des Studiendesigns nicht bekannt, warum die OAK pausiert bzw. abgesetzt wurde. Insgesamt wurden bei den 49.000 Patienten über 67.000 Unterbrechungen der OAK registriert.
49% aller Thromboembolien oder Todesfälle traten während solch einer Unterbrechung der OAK auf. Die Inzidenz während einer Unterbrechungsperiode betrug 14,2 pro 100 Patientenjahre, war also mehr als doppelt so hoch wie unter laufender OAK (6,9 Ereignisse pro 100 Patientenjahre). Besonders häufig waren Hospitalisierungen wegen Thromboembolien bzw. Todesfälle in den ersten 90 Tagen nach Beginn der OAK-Unterbrechung (31,6 pro 100 Patientenjahre). Ein halbes Jahr nach dem Aussetzen lag das Risiko mit 11 pro 100 Patientenjahre immer noch fast doppelt so hoch wie unter laufender OAK.
Diese Beobachtungen aus Dänemark sind wichtig, denn sie zeigen, dass OAK häufig pausiert werden und dass dies risikoreich ist. OAK sollten vor Zahneingriffen, Gastroskopien oder kleinen chirurgischen Eingriffen möglichst nicht pausiert werden. Viele kleine chirurgische Eingriffe können in geübter Hand unter laufender OAK sicher durchgeführt werden. Die prophylaktische Wirksamkeit des sog. „Heparin-Bridging”, d.h. die periprozedurale Injektion von Heparin in der Zeit der OAK-Pause, ist nicht durch Studien abgesichert. Das Heparin-Bridging bei antikoagulierten Patienten senkt wahrscheinlich nicht die Häufigkeit von Thromboembolien, verdoppelt aber die Blutungskomplikationen. Dies hat eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit – basierend auf 34 publizierten Studien zu diesem Thema – nochmals bestätigt (5). Daher wird auch von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in den aktuellen Leitlinien zu Vorhofflimmern ein Heparin-Bridging nur bei sehr hohem Schlaganfallrisiko empfohlen, z.B. nach vorausgegangenem Schlaganfall (1).
Die Aussagen der dänischen Studie haben die üblichen Einschränkungen einer retrospektiven Kohortenstudie und sollten deshalb nicht überbewertet werden. Insbesondere die Kausalität zwischen Absetzen und thromboembolischem Ereignis oder Tod müsste bei jedem Patienten analysiert werden. Die Studie gewinnt andererseits an Aussagekraft durch die lange Nachbeobachtung, nicht ausgewählte Patienten und, wie immer bei Registerstudien, durch die Abbildung der Realität.
Fazit: Die orale Antikoagulation bei Vorhofflimmern/-flattern wird nach einem dänischen Register bei 72% der Patienten innerhalb von 3,5 Jahren aus unterschiedlichen Gründen mindestens einmal kurzzeitig pausiert oder längere Zeit unterbrochen. Diese Pause ist mit einem zwei- bis dreifach erhöhten Thromboembolierisiko verbunden, besonders während der ersten 90 Tage. Vor kleineren chirurgischen Eingriffen sollten daher orale Antikoagulanzien nicht abgesetzt werden. Patienten müssen generell über die Risiken einer Antikoagulanzien-Pause informiert werden.
Literatur
- Camm, A.J.,et al.: Eur. Heart J 2012, 33, 2719.
- Raunsø, J., et al.: Eur.HeartJ. 2012, 33, 1886.
- Hansen,M.L., et al.: Arch. Intern. Med. 2010, 170,1433.
- AMB 2012, 46, 17.
- Siegal, D., et al.: Circulation 2012, 126, 1630.
Schlagworte zum Artikel:
Absolute Arrhythmie, Antikoagulanzien, Apoplektischer Insult, Herzrhythmusstörungen, Hirninfarkt, Phenprocoumon, Rhythmusstörungen, Schlaganfall, Vorhofflimmern, Warfarin,
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