Unabhängig Arzneimittelinformation

AMB 2012, 46, 56DB01

Neues webbasiertes Portal für UAW-Meldungen – wird Pharmakovigilanz in Europa endlich transparent?

Seit wenigen Wochen sind statistische Auswertungen von UAW-Meldungen erstmalig öffentlich zugänglich. Die Berichte sind auf der Website der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) abrufbar (1-3). Sie basieren auf den Meldungen an die europäische Datenbank EudraVigilance. Die Daten kommen einerseits von den nationalen europäischen Aufsichtsbehörden und andererseits von den Zulassungsinhabern, d.h. den pharmazeutischen Unternehmern. Letztere sind verpflichtet, nicht nur die UAW-Verdachtsfälle aus den EU-Ländern an EudraVigilance zu melden, sondern auch alle schwerwiegenden Verdachtsfälle, die mit ihrem Präparat in einem Land außerhalb der EU beobachtet wurden. Somit sind, je nach Arzneimittel, bis zu 80% der aufgeführten UAW außerhalb der EU beobachtet worden. Ob und wie die UAW-Meldungen von der EMA gefiltert werden, ist nicht ganz klar. Es wird in den ausführlichen Erläuterungen der Behörde jedoch darauf hingewiesen, dass sich die Zahl einzelner Fälle durch „Nachfragen und Nachanalysen” jederzeit erhöhen oder verringern kann.

Die UAW-Meldungen beziehen sich derzeit nur auf die 650 Wirkstoffe, die in den vergangenen Jahren im zentralen Verfahren von der EMA zugelassen worden sind. Tausende ältere Arzneimittel oder solche, die nur national zugelassen sind, sucht man vergeblich. Meldungen zu diesen Arzneimitteln sollen zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls auf der Website zu lesen sein. Noch informativer könnte die Datenbank werden, wenn, wie vom europäischen Parlament gewünscht, zukünftig auch Patienten und Angehörige UAW-Verdachtsfälle direkt melden dürfen („Consumer reporting”; vgl. 4). Dann würde die Plattform www.adrreports.eu wichtige, öffentlichkeits- und sicherheitsrelevante Informationen allen Bürgern zur Verfügung stellen. Hier taucht der aktuelle politische Konflikt Informationsfreiheit versus Produkt-/Herstellerschutz wieder auf (ACTA). Es ist nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre schwer vorstellbar, dass die EMA nun zur Speerspitze pro Informationsfreiheit wird und die zu erwartenden Konflikte mit den pharmazeutischen Unternehmern durchhalten kann.

In der gegenwärtigen Datenbank, also quasi der kleinen Startlösung, kann man nach einzelnen Wirkstoffen (INN) und nach Präparatenamen suchen. In etwas unübersichtlichen Tabellen und Grafiken wird die Gesamtzahl der Meldungen pro Wirkstoff bzw. Präparat angezeigt, gruppiert nach Typ und Ausgang, sowie nach Altersgruppe und Geschlecht der betroffenen Patienten. Weiterhin kann nachvollzogen werden, wer die UAW gemeldet hat (Hersteller, Behandler) und ob die UAW innerhalb oder außerhalb der EU beobachtet wurde. Auch spezielle Analysen sind möglich, etwa wie häufig bei einem bestimmten Medikament über ein bestimmtes Symptom wie Dyspnoe, AV-Block, Verwirrtheit oder Hautauschlag berichtet wurde und wie der Ausgang dieser speziellen UAW war. Detaillierte Einzelfallberichte, wie etwa bei den CIRS-Meldungen (Critical Incident Reporting System; vgl. 5), sind leider nicht erhältlich. Auch ist bislang nicht vorgesehen, dass individuelle Meldungen nachverfolgt werden können, etwa über eine Vorgangs-Nummer. Vergeblich sucht man auch nach Informationen, wann und aus welcher Region die Meldungen gekommen sind. Das wäre aus unserer Sicht wichtig, um mögliche externe Manipulationen erkennen zu können.

Die Gefahr von Fehlinterpretationen und Manipulationen des Datenmaterials ist tatsächlich gegeben. Die EMA weist daher auf der Website mehrfach darauf hin, dass man weder auf einen tatsächlichen Kausalzusammenhang noch auf die Häufigkeit oder auf die Schädlichkeit eines Arzneimittels schließen darf.

Wir wünschen uns, dass Ärzte und Apotheker viel mehr als bislang ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen, jede UAW zu melden. Eine Erleichterung und Beschleunigung des Meldeablaufs sollen elektronische Meldeportale bei den nationalen Arzneimittelagenturen bringen. Sie sollten dann auf jedem Praxiscomputer als Lesezeichen in der Navigationsleiste stehen.

Literatur

  1. http://www.adrreports.eu/ Link zur Quelle
  2. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  3. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  4. AMB 2011, 45,63 Link zur Quelle und 94. Link zur Quelle
  5. AMB 2008, 42,41. Link zur Quelle  AMB 2010, 44, 49. Link zur Quelle

 

Schlagworte zum Artikel:

Arzneimittel, AudraVigilance, EMA, Europäische Arzneimittel-Agentur, Medikamente, Nebenwirkungen, Pharmakovigilanz,

 

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Verlängerung der QT-Zeit durch Hydroxyzin 2015, 49, 31b

Neue Arzneimittel: Richtlinie der EMA zur Publikation klinischer Berichte – ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Transparenz 2014, 48, 79

Widerruf der Zulassung bestimmter Metoclopramid-haltiger Zubereitungen 2014, 48, 39

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