Die größte bisher durchgeführte Metaanalyse zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva wurde im Februar im Lancet veröffentlicht. Sie kommt zu dem Schluss, dass Antidepressiva bei mittelschweren und schweren Episoden einer unipolaren Depression durchweg wirksamer sind als eine Behandlung mit Plazebo, bei vergleichbarer Verträglichkeit. Diese Studie wurde auch von den Laienmedien sehr stark wahrgenommen, daher lohnt sich ein genauerer Blick.
Es handelt sich um eine Netzwerk-Metaanalyse, in der Studien mit 21 häufig verordneten Antidepressiva indirekt und direkt miteinander verglichen wurden. Eingeschlossen wurden 522 doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studien aus den Jahren 1979-2016. Es wurden nur Studien berücksichtigt, in denen ein orales Antidepressivum in üblicher Dosierung zur Erstlinien-Therapie einer unipolaren mittelschweren oder schwereren depressiven Episode bei Erwachsenen getestet wurde. Die Metaanalyse wurde mit öffentlichen Geldern finanziert und nur 4 der 18 Autoren geben Interessenkonflikte mit der Pharmaindustrie an.
Verzerrungen – Beinahe jede fünfte der eingeschlossenen Studien war nicht ordentlich publiziert und bei mehr als der Hälfte mussten relevante Ergebnisse von den Autoren oder den Firmen beschafft werden. 78% der Studien wurden vom Hersteller des getesteten Antidepressivums bezahlt. Das Risiko für einen relevanten Bias, also eine Ergebnisverzerrung durch strukturelle Mängel innerhalb der Studie, wurde bei 46 Studien (9%) als hoch und bei 380 (73%) als moderat eingeschätzt. Nur bei 96 Studien (18%) wurde die Methodik als unkritisch bewertet. Hauptkritikpunkte waren Unklarheiten bei der Randomisierung und der Gruppenzuteilung, eine unsichere Verblindung von Patienten und der Nachuntersucher, ein Abweichen vom Studienprotokoll sowie das vorzeitige Ausscheiden von Patienten aus der. Aufgrund dieser vielfältigen Verzerrungen schätzen die Autoren der Metaanalyse die Beweiskraft ihrer Ergebnisse als begrenzt ein.
Ergebnisse – Primäre Endpunkte waren die „Wirksamkeit“ der Behandlung nach 8 Wochen. Diese war als Symptomreduktion um mindestens 50% auf einer standardisierten Depressionsskala (z.B. Hamilton-Skala) definiert. Der zweite primäre Endpunkt war die „Akzeptanz“ der Behandlung. Diese war über die Therapie-Abbruchraten in jeder Studie definiert, unabhängig von den Gründen. Im Hinblick auf die Wirksamkeit waren alle getesteten Antidepressiva der Behandlung mit Plazebo um mindestens 37% (Reboxetin) bis maximal 113% (Amitryptilin) überlegen. Interessanterweise waren keine speziellen Klasseneffekte bei den Wirkstoffen erkennbar, was gewisse Zweifel an den postulierten Wirkmechanismen weckt. Die Akzeptanz der Therapie variiert sehr stark zwischen den einzelnen Wirkstoffen, liegt aber im Mittel im Bereich von Plazebo. Allerdings lagen die angegebenen Therapie-Abbruchraten wegen Nebenwirkungen deutlich über denen von Plazebo (zwischen 64-344%).
Bewertung – Die grundsätzlich positive Einschätzung dieser Substanzen bei mittelschweren und schweren Depressionen darf man nicht auf mildere Formen der Depression, eine Langzeitbehandlung, auf eine Zweitlinientherapie bei Non-Respondern, auf Kinder und Jugendliche und andere Formen von Depressionen übertragen. Gerade bei leichteren Depressionen sind Antidepressiva sehr wahrscheinlich nicht wirksamer als Plazebo und die Nutzen/Risiko-Relation dürfte eher ungünstig sein. Ein Ranking von guten und schlechten Antidepressiva lässt sich aus diesen Daten sicher nicht ableiten.