AMB 2013, 47, 09

Klinische Arzneimittelstudien – wie beeinflussen Angaben zum Sponsoring die Interpretation der Ergebnisse durch Ärzte?

Zusammenfassung: Systematische Übersichtsarbeiten haben in den letzten Jahren eindeutig belegt, dass die Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen (pU) das Design sowie die Durchführung, Auswertung und Interpretation klinischer Studien zu Arzneimitteln beeinflusst und dass in solchen Studien der Wirkstoff des pU häufig positiver bewertet wird als in unabhängigen Studien. Anhand wissenschaftlicher Kurzfassungen zu drei fiktiven Arzneimitteln konnten US-amerikanische Pharmakologen und Ethiker in einer randomisierten Untersuchung nachweisen, dass Internisten den Ergebnissen aus klinischen Studien mit hoher methodischer Qualität (z.B. doppeltblinde, randomisierte kontrollierte Studien mit großer Patientenzahl und „hartem” Endpunkt) sehr viel stärker vertrauen als denjenigen mit mittlerer oder geringer Qualität. Bemerkenswerterweise beeinflussten die Angaben zum Sponsoring auch die Bewertung der methodischen Qualität und Schlussfolgerungen klinischer Studien durch Internisten sowie ihre Bereitschaft, neue (fiktive) Arzneimittel zu verordnen. Bei vergleichbarer methodischer Qualität wurde klinischen Studien, die von pU gesponsert wurden und in denen der Erstautor finanzielle Beziehungen zum pU hatte, signifikant weniger vertraut als solchen Studien, die von den National Institutes of Health finanziert wurden oder keine Angaben zum Sponsor enthielten. Publik gewordenes Fehlverhalten der pU wie Publication Bias, unzureichende Transparenz bei klinischen Studienberichten sowie wissenschaftliche Irreführung durch Publikationsplanung und Ghostwriting werden von den Autoren als ein wesentlicher Grund für die Ergebnisse dieser Studie vermutet. Dringend notwendige Maßnahmen werden dargestellt, die darauf abzielen, das Vertrauen von Ärzten, aber auch von Patienten und Öffentlichkeit in Studien der pU zu stärken und dem Fehlverhalten der pU vorzubeugen.

Arzneimittelstudien und die für die Planung sowie Durchführung dieser Studien verantwortlichen Ärzte werden sehr häufig von pharmazeutischen Unternehmen (pU) finanziell unterstützt. Derartige Studien führen häufiger zu einem positiven Ergebnis für das Arzneimittel als unabhängige Studien, denn die Finanzierung durch pU beeinflusst Design, Durchführung, Auswertung und vor allem Interpretation der Ergebnisse. Verschiedene systematische Übersichtsarbeiten belegen eindeutig diese Aussage – zuletzt auch eine 2010 publizierte systematische Literaturübersicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft mit Auswertung von 57 Studien aus den Jahren 2002 bis 2009 (1).

Wenig untersucht ist jedoch, inwieweit Ärzte in ihrer Interpretation von Ergebnissen klinischer Studien vergleichbarer methodischer Qualität durch die Angaben zum Sponsor beeinflusst werden. Dieser interessanten Frage sind Wissenschaftler aus den USA, vorwiegend Pharmakoepidemiologen aus Boston, jetzt in einer randomisierten Studie nachgegangen (2). Ziel ihrer Untersuchung war es, anhand einer Umfrage herauszufinden, wie methodische Qualität sowie Ergebnisse klinischer Studien zu Arzneimitteln beurteilt werden und wie sich deren Finanzierung aus unterschiedlichen Quellen auf die Beurteilung und das Verschreibungsverhalten von Ärzten auswirkt. Die Autoren verfassten wissenschaftliche Zusammenfassungen zu drei fiktiven Arzneimitteln – zur Behandlung der Hyperlipidämie, des Diabetes mellitus und der Angina pectoris -, die in hypothetischen Studien unterschiedlicher Qualität untersucht wurden (Tab. 1). In den Kurzfassungen variierten die Autoren jeweils den untersuchten Wirkstoff, die methodische Qualität der klinischen Studie und den Sponsor (1. National Institutes of Health = NIH oder 2. pU, der zufällig ausgewählt wurde unter den 12 weltweit führenden Herstellern, oder 3. keine Angabe zum Sponsor). Auf diese Weise wurden insgesamt 27 unterschiedliche wissenschaftliche Kurzfassungen erstellt. Aus einer Liste des American Board of Internal Medicine (ABIM) wurden insgesamt 503 Internisten mit regelmäßigem Patientenkontakt ausgewählt und gebeten, sieben Fragen zu beantworten und anzugeben, ob und in welchem Unfang sie im letzten Jahr Industriekontakte hatten. 269 (53,5%) der insgesamt 503 angeschriebenen Internisten waren bereit, an der honorierten Umfrage teilzunehmen. Die Fragen bezogen sich unter Anderem auf

Die Beantwortung erfolgte anhand der sieben Punkte umfassenden Likert-Skala – beispielsweise beim Vertrauen in die Validität der Schlussfolgerung von 1 (= überhaupt kein Vertrauen) bis 7 (= sehr großes Vertrauen). Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 48 Jahren. Sie verbrachten den ganz überwiegenden Teil ihrer Arbeitszeit mit praktischer ärztlicher Tätigkeit – etwa 75% von ihnen im ambulanten Bereich. Irgendeine Form der materiellen Unterstützung durch die Industrie (z.B. kostenlose Arzneimittelmuster; Honorare für Vorträge, Beratertätigkeit; Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten anlässlich von Kongressen) erhielten 75,5% der beteiligten Ärzte – ein Prozentsatz, der gut mit den Ergebnissen einer kürzlich publizierten Studie zur Häufigkeit von Kontakten zwischen Ärzten und Industrie in den USA übereinstimmt (3). In einem (frei zugänglichen) Supplement zu dieser Publikation im Internet finden sich detaillierte Angaben zu: statistische Auswertung der Studie, Fragebogen, alle 27 Kurzfassungen zu den drei fiktiven Wirkstoffen, Merkmale der Teilnehmer an der Umfrage. Ärzte wurden am Ende des Fragebogens darüber informiert, dass alle Angaben zu den Wirkstoffen, den klinischen Studien und genannten Sponsoren fiktiv sind.

Die Antworten der Ärzte unterschieden sich signifikant beim Vergleich zwischen klinischen Studien mit mittlerer methodischer Qualität und denjenigen mit hoher bzw. geringer Qualität. Den Ergebnissen aus doppeltblinden, randomisierten kontrollierten Studien (RCT) mit großer Patientenzahl, „hartem” Endpunkt sowie ausreichender Nachbeobachtung wurde erwartungsgemäß sehr viel stärker vertraut. Deshalb war auch die Bereitschaft, einen in derartigen Studien untersuchten Wirkstoff zu verordnen, deutlich größer als bei Studien mit geringer methodischer Qualität. Wesentliches Ergebnis dieser Studie ist jedoch, wie stark Ärzte durch Angaben zum Sponsoring beeinflusst werden in ihrer Bewertung der methodischen Qualität und Schlussfolgerung klinischer Studien sowie der Bereitschaft, neue Wirkstoffe zu verordnen. Die Ärzte vertrauten bei vergleichbarer methodischer Qualität den Ergebnissen und Schlussfolgerungen aus Studien, die von pU gesponsert wurden, signifikant weniger als denen aus Studien, die vom NIH finanziert wurden oder keine Angabe zum Sponsor enthielten. Deshalb waren sie auch deutlich zurückhaltender mit der Verschreibung von Arzneimitteln, die in von pU finanziell unterstützten Studien untersucht wurden (Abb. 1).

Die Ergebnisse dieser wichtigen Untersuchung wurden in einem Editorial von J. Drazen mit dem Titel: „Believe the data” kommentiert (4). Sie haben auch ein sehr lebhaftes Echo bei den Lesern des N. Engl. J. Med. ausgelöst. Ein Leser warnte vor „übermäßiger Skepsis” vor klinischen Studien mit pU als Sponsor, da dies möglicherweise die Einführung von medikamentösen „Innovationen” in den klinischen Alltag verzögere – eine Einschätzung, der wir uns sicher nicht anschließen können (5). Demgegenüber haben verschiedene Leser die in den letzten Jahren wiederholt publik gewordenen – durch Zugang zu internen Dokumenten der pU – Missstände bei Arzneimittelstudien erwähnt, die von pU gesponsert wurden (6). Zu diesen Missständen zählen: Zurückhalten negativer oder statistisch nicht-signifikanter Studienergebnisse sowie von Kenntnissen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen, unzureichende Transparenz bei klinischen Studienberichten (7), Werbung für Off-label-Verordnung von Arzneimitteln, wissenschaftliche Irreführung durch Publikationsplanung und Ghostwriting (8). Dieses Fehlverhalten einiger pU wurde in den USA in den letzten Jahren mit hohen Strafen bis zu 3 Mrd. US-$ belegt (9) und hat das Vertrauen von Ärzten in die wissenschaftliche Seriosität der von pU gesponserten Arzneimittelstudien erschüttert. Es wurde auch von Kesselheim et al. als wesentlicher Grund für die Ergebnisse ihrer Studie genannt (2). Notwendige Änderungen, die diesem Fehlverhalten der pU vorbeugen und das Vertrauen von Ärzten, Patienten und Öffentlichkeit in Studien der pU stärken, sind aus unserer Sicht vor allem:

Pharmazeutische Unternehmen sollten sich an der raschen Umsetzung dieser Maßnahmen aktiv beteiligen. Das liegt auch in ihrem eigenen Interesse, damit den Ergebnissen der von ihnen gesponserten Studien – häufig mit hoher methodischer Qualität – vertraut und dies bei der Verordnung neuer Arzneimittel auch stärker berücksichtigt wird.

Literatur

  1. Schott, G., et al.:Dtsch. Arztebl.Int. 2010, 105, 279 Link zur Quelle (s.a. AMB 2010, 44, 39a Link zur Quelle ).
  2. Kesselheim,A.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1119. Link zur Quelle
  3. Campbell,E.G., et al.: Arch.Intern. Med. 2010, 170,1820. Link zur Quelle  Erratum: Arch. Intern. Med.2010, 170, 1966.
  4. Drazen, J.M.: N.Engl. J. Med. 2012, 367, 1152. Link zur Quelle
  5. Fonseca, R.: N. Engl.J. Med. 2012, 367, 2358. Link zur Quelle
  6. Kern, D.G., et al.:N. Engl. J. Med. 2012, 367, 2359. Link zur Quelle
  7. AMB 2012, 46,49. Link zur Quelle
  8. AMB 2012, 46,59. Link zur Quelle
  9. Outterson,K.: N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1082. Link zur Quelle

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Arzneimittel, Arzneimittelforschung, Arzneimittelstudien, Interessenkonflikte, Medikamente, Pharmaindustrie, Pharmazeutische Unternehmer, Sponsoring, Studien, Werbung,

 

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