AMB 2010, 44, 63
Fragwürdige Stammzelltherapien auch in Deutschland
Die Übertragung von autologen hämatopoetischen Stammzellen gehört heute bei einigen malignen Krankheiten, insbesondere hämatologischen Neoplasien, zum Therapiestandard. So ermöglicht, z.B. bei Multiplem Myelom, die Transfusion autologer hämatopoetischer Stammzellen eine hoch dosierte Chemotherapie mit Melphalan, da sie zu einer schnelleren Regeneration des Knochenmarks führt. Transplantationen allogener hämatopoetischer Stammzellen werden z.B. im Rahmen der Behandlung von akuten Leukämien eingesetzt (1). Zur Stammzell-Therapie beim akuten Myokardinfarkt, über die wir wiederholt kritisch und skeptisch berichtet haben (2), laufen verschiedene Forschungsprogramme.
Davon zu unterscheiden sind Stammzell-Therapien, die ohne ausreichende wissenschaftliche Grundlage weltweit zunehmend in Privatkliniken Patienten mit verschiedenen schweren und z.T. tödlichen Krankheiten angeboten werden, obwohl über ihre Wirksamkeit und ihr Risiko fast nichts bekannt ist (3). Die Privatkliniken sind überwiegend in Staaten beheimatet, in denen die Regularien zur Durchführung von Behandlungen von Menschen nicht streng sind, wie z.B. China oder der Ukraine. Es gibt solche Kliniken jedoch auch in Westeuropa und auf Grund einer Gesetzeslücke (4) sogar in Deutschland, wovon sich einige Patienten Seriosität und Qualität versprechen dürften. Das sogenannte XCell-Center beispielsweise ist in Krankenhäusern in Düsseldorf und Köln ansässig (5). Es bietet eine Behandlung mit körpereigenen, adulten Stammzellen für so unterschiedliche Krankheiten wie Diabetes mellitus (Typ 1 und 2, ebenso die Folgeerkrankungen) und Schlaganfall sowie neurologische Erkrankungen, insbesondere Rückenmarkverletzungen, Multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose (ALS), M. Parkinson und M. Alzheimer an. Auch Arthritis, Herzerkrankungen, Augenerkrankungen, Neuropathien und Inkontinenz werden dort behandelt. Eine Stammzell-Implantation direkt in das Gehirn kostet einen Parkinson-Patienten laut Website 25.500 €. Die Behandlung der ALS ist schon für 7.995 € zu haben. Dafür wird dem Patienten Knochenmark entnommen, und daraus aufbereitete Zellen werden intrathekal reinfundiert. Auf Anfrage nach der Evidenz für diese Behandlung der ALS schickte ein Arzt des XCell-Centers sieben Publikationen, von denen allerdings nur zwei klinische Prüfungen bei Patienten mit ALS waren. Geschildert werden zwei Phase-I-Studien einer Arbeitsgruppe bei neun, bzw. zehn Patienten (6, 7), aus denen sich natürlich keine ausreichenden Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit des Verfahrens ergeben. Außerdem wurden eigene Studien versprochen, die aber nie ankamen.
Hinweise auf die Risiken von nicht adäquat geprüften Stammzell-Therapien ergeben sich z.B. aus einer Publikation aus Israel, in der über einen Jungen mit einer Ataxia teleangiectatica (Louis-Bar-Syndrom) berichtet wird, der vier Jahre nach einer intrazerebellären und intrathekalen Injektion von menschlichen fetalen Stammzellen in einer Klinik in Moskau einen multifokalen Gehirntumor entwickelte, der aus Zellen von mindestens zwei Spendern entstanden war (8).
Im Internet wird inzwischen auf mehreren Websites vor den dubiosen Stammzell-Therapien gewarnt, z.B. von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (9), aber auch von der Ärztekammer Nordrhein (10). Diese Seite ist in mehreren Sprachen verfügbar, außerdem finden sich hier nützliche weiterführende Links. Im British Medical Journal wurde kürzlich darauf hingewiesen, dass die „International Society for Stem Cell Research” eine Website mit Informationen für Patienten eingerichtet hat (11). Es wird außerdem die Beurteilung von Kliniken angeboten. Wir haben um eine Prüfung des XCell-Centers gebeten; über das Ergebnis werden wir wieder berichten.
Fazit: Zahlreiche Kliniken weltweit nutzen Hoffnungen von Patienten aus, indem sie behaupten, Schwerkranke mit neuen und effektiven Stammzell-Therapien behandeln zu können, obwohl dafür eine wissenschaftliche Grundlage fehlt. Die Kosten für diese Verfahren liegen bei vier- bis fünfstelligen Eurobeträgen. Dass dies auch in Deutschland möglich ist, halten wir für skandalös und nicht akzeptabel.
Literatur
- Ljungman, P., et al.: Bone Marrow Transplant. 2006, 37, 439.
- AMB 2006, 40, 21a und 84.
- Roehr, B.: BMJ 2010, 340, c3271.
- http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,652890,00.html. Zuletzt geprüft am 8.8.2010.
- http://www.xcell-center.com/. Zuletzt geprüft am 8.8.2010.
- Mazzini, L. et al.: J. Neurol. Sci. 2008, 265, 78.
- Mazzini, L., et al.: Exp. Neurol. 2010, 223, 229.
- Amariglio, N., et al.: PLOS 2009, 6, e1000029.
- Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband E. V.: . Zuletzt geprüft am 8.8.2010.
- Ärztekammer Nordrhein: . Zuletzt geprüft am 8.8.2010.
- http://www.closerlookatstemcells.org//AM/Template.cfm?Section=Home. Zuletzt geprüft am 8.8.2010.
Schlagworte zum Artikel:
Amyotrophe Lateralsklerose, Apoplektischer Insult, Arthritis, Augenerkrankungen, Diabetes mellitus, Herzerkrankungen, Hirninfarkt, Inkontinenz, Knochenmark, M. Parkinson, Multiple Sklerose, Neuropathien, Rückenmarkverletzungen, Schlaganfall, Stammzell-Transplantation, XCell-Center ,
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Antimykotische Chemoprophylaxe bei hämatologischen Neoplasien: Posaconazol, ein bahnbrechender Fortschritt, neuer Standard oder nur teurer Ersatz für intensive klinische Betreuung? 2007, 41, 33
Stammzell-Transplantation ohne vorausgehende myeloablative Behandlung 1998, 32, 85a
Klinischer Einsatz rekombinanter hämatopoetischer Wachstumsfaktoren: Granulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor (G-CSF) und Granulozyten-Makrophagen-stimulierender Faktor (GM-CSF) 1998, 32, 01
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