AMB 2011, 45, 43

 

EHEC – Therapieversuche beim Toxin-assoziierten hämolytisch-urämischen Syndrom

 

Wir erleben gerade die größte Epidemie mit enterohämorrhagischen E. coli (EHEC), die jemals in Deutschland aufgetreten ist. Es handelt sich um einen Keim mit dem ungewöhnlichen Serotyp O104:H4, einen Extended-spectrum-beta-lactamase (ESBL)-Bildner, der möglicherweise aus einem unkontrollierten Antibiotikaeinsatz, z.B. in der Nutztierhaltung, resultiert. Er bildet das Shiga-like Toxin 2, das für die hämorrhagische Kolitis und die thrombotische Mikroangiopathie mit hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) und neurologischen Krankheitszeichen verantwortlich ist. Schon lange war diese katastrophale Epidemie befürchtet, ja sogar erwartet worden. Jetzt wurden allein in der Medizinischen Hochschule Hannover bis Ende Mai 2011 über 40 Erwachsene und zusätzlich neun Kinder wegen eines HUS mit Plasmapheresen behandelt (1). Derzeit ist von dieser Epidemie vor allem Norddeutschland betroffen. Erkrankungen sind aber in fast allen Bundesländern und auch in Nachbarländern (z.B. Dänemark, Schweden und England) aufgetreten. Die meisten dieser Patienten hatten sich vor Erkrankungsbeginn in Norddeutschland aufgehalten. Seit Anfang Mai sind dem Robert Koch-Institut 2447 Patienten mit EHEC-Infektion gemeldet worden (87% ≥ 20 Jahre alt; 59% weiblich); 13 sind daran gestorben. Außerdem wurden insgesamt 781 Patienten mit HUS übermittelt, darunter 22 Todesfälle (2).

 

In einer Studie, die 1994 in England durchgeführt wurde, fanden sich EHEC bei 8% nicht krank wirkender Rinder. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt unter anderem durch fäkal verunreinigtes Gemüse (Gülle als Dünger), Fleisch, Milchprodukte, Trink- oder Badewasser (3).

 

Das typische HUS wurde erstmals 1955 von Gasser bei fünf Kindern beschrieben (4), die alle an den Folgen des akuten Nierenversagens gestorben sind. Es tritt in der Regel 3-4 Tage nach dem Sistieren der (blutigen) Diarrhö auf. Neben Kindern sind vor allem Frauen betroffen (5). Klinisch manifestiert sich das HUS durch eine ausgeprägte Thrombozytopenie, hämolytische Anämie, akutes Nierenversagen und zentral-neurologische Symptome, wobei Nierenversagen und ernste neurologische Symptome bei Erwachsenen häufiger auftreten (5). Eine ausgeprägte Verminderung (Aktivität < 10%) von ADAMTS 13 (A Disintegrin And Metalloprotease with ThromboSpondin-1-like domains 13) findet sich beim typischen HUS im Gegensatz zur thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura selten (6). Antibiotika werden nicht empfohlen, da sie die Elimination des Erregers nicht verkürzen. Durch Antibiotika kann die Ausschüttung des Shiga-like Toxins sogar vermehrt werden, was die Wahrscheinlichkeit eines HUS möglicherweise erhöht (7).

 

Anekdotische Fallberichte deuten auf eine zum Teil positive Wirkung der Plasmapherese beim HUS hin (6, 8). Randomisierte kontrollierte Studien mit gesicherten Daten gibt es aber nicht. Man orientiert sich an den zum Teil positiven Effekten der Plasmapherese bei Patienten mit atypischem HUS und thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (TTP; 5, 6). Es ist aber nicht klar, ob diese Ergebnisse auf das EHEC-induzierte HUS übertragbar sind.

 

Am 25.5.2011 wurde im N. Engl. J. Med. in der Rubrik „Correspondence”, über einen Therapieerfolg mit Eculizumab (Soliris®) bei drei Kindern mit HUS berichtet, das von Shiga-like Toxin bildenden EHEC ausgelöst war (9). An dieser Mitteilung waren auch deutsche Wissenschaftler aus Heidelberg beteiligt. Eculizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen das Komplementprotein C5, der zur Behandlung der sehr seltenen paroxysmalen nächtlichen, komplement-abhängigen Hämoglobinurie (PNH) zugelassen ist (9, 10). Da auch das vom Shiga-like Toxin vermittelte HUS mit einer Komplementaktivierung verbunden ist, war bei diesen drei Kindern der Therapieversuch mit Eculizumab unternommen worden. Zuvor waren bei allen durch mehrtägige Plasmapherese weder die zentralnervösen Symptome, noch die Thrombozytopenie, die Hämolyse oder die Niereninsuffizienz gebessert worden. Zwei bzw. vier Antikörper-Infusionen normalisierten rasch diese Krankheitssymptome. Es bleibt jedoch unklar, ob die Besserung der Symptome den Spontanverlauf widerspiegelt oder auf die Wirksamkeit von Eculizumab bzw. anderer Therapiemaßnahmen (z.B. immunsuppressive Therapie mit Glukokortikoiden, Infusion großer Mengen Albumin bei der Plasmapherese) zurückzuführen ist.

 

Eculizumab ist ein Antikörper, der gegen den Komplementfaktor C5 gerichtet ist und die Bildung der aktiven Komponenten C5a und C5b vermindert. Da hierdurch die Bildung des „Membran Attack Komplexes” verhindert wird, ist als unerwünschte Wirkung unter der Therapie auch die Abwehr gegen bekapselte Mikroorganismen eingeschränkt. Insbesondere besteht eine Gefährdung durch Neisseria meningitidis. Daher wird die Infusion von Eculizumab nur empfohlen, wenn die Patienten gegen Meningokokken geimpft sind. Insgesamt ist vermehrt mit oberen Atemwegs- und Harnwegsinfektionen zu rechnen. In der Akutsituation sollten die Patienten deshalb eine 14-tägige Prophylaxe mit Azithromycin erhalten, ein Antibiotikum, das gegen den aktuellen EHEC nicht wirksam ist.

 

In mehreren nephrologischen Zentren wurde nun Eculizumab bei Erwachsenen und Kindern mit schweren Verläufen eines HUS nach Infektion mit EHEC eingesetzt. Bei einigen Patienten wurde eine Besserung beobachtet. Definitive Aussagen zur Wirksamkeit und Sicherheit von Eculizumab sowie Empfehlungen sind aber derzeit nicht möglich. Entscheidende Fragen zum Einsatz von Eculizumab beim HUS sind noch offen und können nur in einer randomisierten kontrollierten Studie beantwortet werden. Hierzu gehören: Wann soll die Behandlung begonnen werden, sofort oder erst nach erfolglosen Plasmapheresen? Mit welcher Dosis, wie lange oder wie oft soll behandelt werden? Der unkontrollierte Einsatz von Eculizumab außerhalb von Studien und Registern sollte nicht erfolgen. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie hat ein Register zur Erfassung EHEC-bedingter HUS-Patienten geschaffen (11). Die eingeschlossenen Patienten werden systematisch nach vorgegebenen Kriterien behandelt und die Ergebnisse multifaktoriell analysiert. Parallel hierzu werden vom Paul-Ehrlich-Institut alle nach Gabe von Eculizumab bei Patienten mit EHEC-assoziiertem HUS auftretenden unerwünschten Wirkungen in einem Register erfasst (12). Der Evidenzgrad der Ergebnisse dieses Therapieversuchs mit Eculizumab beim HUS ist natürlich niedrig. Die Firma Alexion stellt Soliris® (Preis ca. 18.000 €) für das EHEC-induzierte HUS kostenfrei zur Verfügung, natürlich auch, um eventuell positive Ergebnisse mit dem Antikörper bei einer Ausweitung der Indikation zu verwenden.

 

Wir werden hoffentlich bald mehr über den therapeutischen Stellenwert von Eculizumab beim HUS wissen. Eine wichtige Erkenntnis ist aber jetzt schon gewonnen: Die Ursache der Epidemie ist die rasche Ausbreitung eines resistenten Stammes von E. coli. Möglicherweise hängt dies auch mit dem verantwortungslosen übermäßigen Gebrauch von Antibiotika in der Humanmedizin und in der Nutztierhaltung zusammen, dass dieser „GAU” in der Lebensmittelproduktion ausgelöst worden ist. Diese epidemische Katastrophe ist eine gute Gelegenheit, die großen Risiken des nicht evidenzbasierten Einsatzes von Antibiotika bei Menschen und Nutztieren ins Bewusstsein zu rufen und eine Wende herbeizuführen.

 

Literatur

  1. Persönliche Mitteilung.
  2. http://www.rki.de/cln_151/nn_205760/DE/Home/Info-HUS.html(Zugriff 14.6.2011). Link zur Quelle
  3. Chapman, P.A., et al.: Med. Microbiol. 1994, 40,424. Link zur Quelle
  4. Gasser, C., et al.: Schweiz. Med. Wochenschr.1955, 85, 905. Link zur Quelle
  5. George, J.N.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 1927. Link zur Quelle
  6. George, J.N.:Blood 2010, 116, 4060. Link zur Quelle
  7. Wong, C.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 1930. Link zur Quelle
  8. Dundas, S., et al.: Lancet 1999, 354, 1327. Link zur Quelle
  9. Lapeyraque, A-L., et al.: Link zur Quelle
  10. AMB 2009, 43, 01. Link zur Quelle
  11. www.ehec-register.de Link zur Quelle
  12. Cichutek, K.,persönliche Mitteilung.

 

 

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