AMB 2009, 43, 14
Drei große Präventionsstudien zeigen keine protektiven Effekte von Vitaminen bzw. Ginkgo-Extrakten
Wir haben mehrfach über Studien zur Prävention von Karzinomen oder kardiovaskulären Krankheiten durch Langzeit-Einnahme von Vitaminen berichtet. Alle hatten ein negatives Ergebnis und zeigten zum Teil sogar ein höheres Risiko auf (1-4). Deshalb sollen drei kürzlich erschienene Studien, ebenfalls mit negativem Ausgang, gemeinsam besprochen werden.
Im Rahmen der Physicians’ Health Study nahmen 14 641 US-amerikanische Ärzte (50 Jahre oder älter) ab 1997 und im Mittel acht Jahre lang randomisiert, plazebokontrolliert und doppeltblind jeden zweiten Tag 400 Einheiten Vitamin E und täglich 500 mg Vitamin C (oder Plazebo) ein. 5,1% der Männer hatten bei Einschluss in die Studie eine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung. Endpunkte waren kardiovaskuläre Ereignisse. Am Ende war die Ereignisrate mit 10,9/1 000 Personenjahre in beiden Gruppen gleich. Auch für die Einzel-Endpunkte Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärer Tod ergaben sich keine signifikanten Unterschiede (5).
Im Rahmen der Womens’ Antioxidant and Folic Acid Cardiovascular Study (6) nahmen 5 442 US–amerikanische, in Gesundheitsberufen tätige Frauen (42 Jahre oder älter) mit bereits bekannten kardiovaskulären Erkrankungen oder mit mindestens drei koronaren Risikofaktoren im Mittel 7,3 Jahre lang täglich eine Kombination aus 2,5 mg Folsäure, 50 mg Vitamin B6 und 1 mg Vitamin B12 (n = 2 721) oder Plazebo (n = 2 721) ein. Endpunkte waren die Inzidenz neuer invasiver Krebserkrankungen und Brustkrebs. Am Ende war die Inzidenz invasiver Krebserkrankungen nach Einnahme von Verum 101,1/10 000 Frauenjahre, nach Plazebo 104,3/10 000 Jahre. Die Inzidenz des Brustkrebses betrug 37,8 vs. 45,6/10 000 Frauenjahre und Todesfälle infolge Krebs 24,6 vs. 30,1/10 000 Jahre. 147 vs. 152 Frauen starben im Verlauf der Studie. Die genannten Unterschiede waren nicht signifikant. Die Studie war nach Einführung der gesetzlichen Folsäure-Anreicherung von Mehl (fortification) in den USA durchgeführt worden (6).
Eine weitere Studie (7), die kurz referiert werden soll, betrifft einen hierzulande – zum Teil täglich im Fernsehen und auf Plakaten – angepriesenen Extrakt von Ginkgo biloba zur Prävention von Demenz allgemein und speziell von Morbus Alzheimer. Die Studie wurde unter Verwendung eines Ginkgo-Extrakts (EGb 761) in fünf akademischen Zentren in den USA durchgeführt. Eingeschlossen wurden 2 587 Personen, etwas mehr Männer als Frauen, mit normaler kognitiver Funktion und 482 mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (alle 75 Jahre oder älter). Sie nahmen randomisiert und doppeltblind im Mittel 6,1 Jahre lang täglich zweimal 120 mg Ginkgo-Extrakt oder ein gleich aussehendes Plazebo ein. Der Extrakt enthielt ca. 25% Flavonoide und ca. 6% Terpen-Lactone (8). Alle sechs Monate wurde die kognitive Funktion standardisiert evaluiert. 277 Personen unter Verum und 246 unter Plazebo entwickelten nach den vorgegebenen Testkritierien eine Demenz. Bei 92% dieser Patienten (3,3 bzw. 2,9/100 Personenjahre) wurde sie als wahrscheinliche oder mögliche Alzheimer-Demenz mit oder ohne leichte zerebrovaskuläre Komponente eingestuft. 25% der Teilnehmer hatten bei Einschluss eine kardiovaskuläre Erkrankung. In dieser Untergruppe war das Risiko, unter Einnahme von Ginkgo im Lauf der Studie eine Demenz zu entwickeln, im Vergleich mit Plazebo signifikant erhöht (Hazard ratio: 1,56; Konfidenz-Intervall: 1,14-2,15; p = 0,006; 8).
Diese Vitaminstudien zeigen erneut, dass es ohne klare medizinische Indikation (z.B. eindeutige, manchmal auch krankheitsbedingte Mangelernährung) sinnlos und – wie in früher referierten Studien – eventuell sogar riskant ist, die genannten Vitamine, besonders in hoher Dosierung mit krankheitspräventiven Erwartungen einzunehmen.
Hinsichtlich Ginkgo-Extrakten, mit denen auch in Deutschland bei intensiver Werbung viel Geld verdient bzw. von gutgläubigen Käufern verschleudert wird, gibt die referierte GEM-Studie (7) sogar Anlass, vor der Einnahme zu warnen. Die Ergebnisse mit Verum waren tendenziell schlechter als mit Plazebo und in einer großen Untergruppe schien die Einnahme von Ginkgo die Entwicklung einer Demenz sogar zu begünstigen.
Fazit: Die referierten Studien sind wichtig, weil sie mit ausreichender statistischer „Power” und aussagekräftiger Interventionsdauer (ca. 8 bzw. 7 bzw. 6 Jahre) durchgeführt wurden. Sie zeigen, dass bei älteren Männern Vitamin E plus C kardiovaskuläre Ereignisse nicht verhindert, dass bei Frauen Folsäure plus Vitamine B6 und B12 die Inzidenz von Krebserkrankungen nicht signifikant reduziert und dass Ginkgo-biloba-Extrakte das Auftreten einer Demenz bei älteren Menschen offenbar eher fördert als verhindert.
Literatur
- AMB 2004, 38, 94a.
- AMB 2005, 39, 22.
- AMB 2006, 40, 34.
- AMB 2007, 41, 76.
- Sesso, H.D., et al. (PHS II = Physicians‘ Health Study II): JAMA 2008, 300, 2123.
- Zhang, S.M., et al. (WACS = Women’s Antioxidant and Folic Acid Cardiovascular Study): JAMA 2008, 300, 2012.
- DeKosky, S.T., et al.(GEM = Ginkgo Evaluation of Memory study): JAMA 2008, 300, 2253.
- Schneider, L.S.: JAMA 2008, 300, 2306.
Schlagworte zum Artikel:
Apoplektischer Insult, Brustkrebs, Demenz, Folsäure, Gedächtnisstörungen, Ginkgo biloba, Herzinfarkt, Hirninfarkt, Karzinome, M. Alzheimer, Mammakarzinom, Multiinfarkt-Demenz, Myokardinfarkt, Physicians‘ Health Study, Schlaganfall, Vitamin B12, Vitamin B6, Vitamin C plus E, Vitamin E plus C, WACS-Studie,
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