AMB 2013, 47, 16DB01
Direct-to-Consumer Advertising im Österreichischen Rundfunk (ORF)
Die direkte Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel bei „Laien” (DTCA = Direct-To-Consumer Advertising) ist in Europa wie fast auf der gesamten übrigen Welt verboten. Nur in Neuseeland und den USA dürfen die Arzneimittelhersteller für verschreibungspflichtige Produkte im Fernsehen und in anderen Massenmedien werben. Die Erfahrungen aus den USA zeigen, dass DTCA zu einem deutlichen Anstieg der Nachfrage nach den Arzneispezialitäten führt. Nach der Legalisierung von DTCA in den USA im Jahre 1997 stiegen die Ausgaben der Industrie für diese Art der Werbung innerhalb von acht Jahren von 1,1 auf 4,2 Milliarden US-$ (1-3). Es ist davon auszugehen, dass sich jeder dort investierte Dollar mehrfach auszahlt, sonst würden die pharmazeutischen Unternehmer (pU) nicht jedes Jahr noch mehr Geld in DTCA stecken.
DER ARZNEIMITTELBRIEF hat sich gemeinsam mit anderen unabhängigen medizinischen Informationsblättern und Verbraucherorganisationen wiederholt gegen die Bestrebungen der Industrie gewandt, das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel auch innerhalb der EU auszuhebeln (4). Diese jahrelangen Versuche der Pharmaindustrie sind aber glücklicherweise seit dem 13.9.2012 zunächst abgewendet (Chronologie bei 5). Wir sind davon überzeugt, dass DTCA den irrationalen Gebrauch von Arzneimitteln fördert und sich sehr negativ auf das öffentliche Gesundheitswesen auswirkt, etwa durch vermehrte Arzneimittelkosten und unerwünschte Arzneimittelereignisse. Das DTCA-Verbot soll die Verbraucher auch vor dem sog. „Disease-Mongering” schützen, dem Erfinden neuer Erkrankungen und dem Übertreiben bekannter Funktionsstörungen mit dem Zweck, noch mehr Arzneimittel zu verkaufen (vgl. 6).
In vielen Ländern, darunter Indien und Brasilien, wird das DTCA-Verbot mittlerweile konsequent unterlaufen. Das hat beispielsweise dazu geführt, dass Statine in der indischen Mittelschicht zum Statussymbol geworden sind. Viele Menschen dort kaufen sich vom Ersparten eine Packung eines Statins, weil dieses Arzneimittel – laut Werbung – ja ein längeres Leben garantiert. Auch in Europa erleben wir immer wieder solche bizarr getarnten Versuche der pU, direkt den Verbraucher zu beeinflussen. Berühmtes Beispiel war vor ein paar Jahren die europaweite „Aufklärungskampagne” über „Männergesundheit”. Damals animierte der berühmte und somit werbewirksame Fußballer Pelé in Print- und TV-Medien Europas die Männer monatelang, mit ihren Ärzten über ihre Gesundheit zu sprechen (7). Der Auftraggeber Pfizer war als solcher nicht erkennbar, wohl aber zierte jede Anzeige eine hellblaue Raute, das Symbol für Viagra®.
DTCA als „Aufklärungskampagne” zu tarnen, ist also ein alter Trick, um das Werbeverbot zu umgehen. Die erste DTCA soll übrigens 1981 im Reader’s Digest erschienen sein und über die Pneumokokkenimpfung „informiert” haben. Daran sei gedacht, wenn man in diesen Tagen den ORF hört oder sieht. Auf vielen österreichischen Kanälen wurde nämlich gerade eine Informationskampagne über die Gefahren einer Pneumokokkeninfektion bei Über-50-Jährigen gestartet (8). Inhalt dieser Einschaltungen ist die beunruhigende Information, dass die Abwehrkraft ab 50 Jahren sinkt und das Risiko für eine Pneumokokkenerkrankung steigt. Daher seien Pneumokokken „für Jede/n, die/der vor 1962 geboren wurde, ein Thema”. Für weitere Informationen soll man Arzt oder Apotheker fragen oder sich auf der Webseite der Kampagne informieren. Dort ist zu lesen, dass Pneumokokken ständig in der Bevölkerung zirkulieren, durch Husten und Niesen übertragen werden können und zu Gehirnhautentzündung, Pneumonie und Sepsis bis hin zum Tode führen können. Der Impfstoff, um den es eigentlich geht, wird wohlweislich nicht genannt. Inhaltlich verantwortlich für die Spots ist der österreichische Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) mit Unterstützung von Pfizer und Sanofi-Pasteur MSD. Leider wird diese Aktion auch von der österreichischen Ärzte- und Apothekerkammer unterstützt – zumindest erscheinen ihre Logos.
Zeitgleich mit dieser „Informationskampagne” findet sich auf der Rückseite der österreichischen Ärztezeitung (9) ganzseitig die Werbung für Prevenar 13®, dem „ersten und einzigen Pneumokokken-Konjugationsimpfstoff für Erwachsene ab 50 Jahren”. In der oberen Bildhälfte ist dort eine Frau mittleren Alters in einem Bus abgebildet. Sie steht zwischen zwei jüngeren, sehr ernst dreinschauenden Personen und trägt einen großen weißen Astronautenanzug mit geschlossenem Helm. In der unteren Bildhälfte sieht man die gleiche Szene. Jetzt trägt die Frau keinen Raumanzug mehr, und die beiden Nachbarpersonen schauen nun freundlicher und zuversichtlicher drein. Die Frau wird von einem roten Ring beschützt, dem Logo von Prevenar 13®. Ein weiterer Baustein der Kampagne ist, dass der Hersteller den Impfstoff bis Ende Februar 2013 in allen österreichischen Apotheken zu vergünstigten Preisen abgibt.
Spätestens jetzt wird klar, dass es sich um eine konzertierte Werbeaktion handelt. Den Bürgern wird mit einer „Informationskampagne” Angst gemacht (die Erreger lauern überall, eine Infektion kann tödlich sein). Diese Angst soll sie dazu veranlassen, zu Ärzten zu gehen. Die wissen, dass der Pneumokokkenimpfstoff kürzlich eine Zulassungserweiterung für gesunde Personen ab 50 Jahre erhalten hat und dass der Impfstoff gerade besonders preisgünstig ist. Die Unterstützung dieser „Informationskampagne” durch die Standesvertretungen lässt die Aktion für Ärzte und Apotheker seriös erscheinen – die Kollegen werden sich schon etwas dabei gedacht haben – und die Bereitschaft wächst, Interessenten zur Impfung zu raten.
Tatsächlich empfiehlt der druckfrische österreichische Impfplan von 2013 für Erwachsene den 13-valenten Konjugationsimpfstoff jetzt ab dem 51. Lebensjahr (10). Die Begründung für diese aktuelle Änderung ist nicht klar. Eine generelle Impfempfehlung ab 51 Jahre gibt es nach unserer Kenntnis nirgendwo auf der Welt. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) in einer besonderen Stellungnahme – auch nach der Zulassungserweiterung des Pneumokokken-Konjugatimpfstoffs Prevenar 13® – weiterhin die Impfung als Standardimpfung bei Erwachsenen ab 60 Jahren (11).
Wir glauben, dass die Kampagne, die wir gerade mit Prevenar 13® erleben, eine wissenschaftlich völlig unbegründete Indikationsausweitung für einen Impfstoff ist und dass hier das DTCA-Verbot von Pfizer und Sanofi-Pasteur MSD geschickt unterlaufen wird. Die „Aufklärungskampagne” hat allein den Zweck, den Verkauf des Impfstoffs zu steigern. Schade, dass sich Ärzte- und Apothekerkammer vor diesen Werbekarren spannen lassen. Hersteller von Impfstoffen und die Gesundheitspolitik brauchen sich nicht zu beklagen, dass die Menschen „impfmüde” sind. Durch solche Aktionen leisten sie einem ablehnenden Verhalten eher noch Vorschub.
Literatur
- AMB 2007, 41,49.
- Buchner, B.: Eur. J. Health Law 2009, 16, 201.
- Ludwig, W.-D., und Schott, G.: Drug-to-consumer advertising in acompetitive market. In Gigerenzer, G., und Gray,J.A.M. (Hrsg.): Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin. Aufbruch inein transparentes Gesundheitswesen. Medizinisch WissenschaftlicheVerlagsgesellschaft, Berlin 2013. S. 303.
- AMB 2009, 43,7b.
- http://www.bukopharma.de/index.php?page=chronologie
- AMB 2004, 38, 8a.
- AMB 2002, 36,56a.
- http://www.pneumokokkenab50.at/
- ÖAZ 2013, Ausgabe 1/2.
- http://www.aeksbg.at/c/document_library/…
- http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2012/Ausgaben/07_12.pdf…
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