AMB 2012, 46, 13

Wann und wie sollte ein hoch betagter Patient antihypertensiv behandelt werden?

Die von der British Heart Foundation und der Firma Servier finanzierte multizentrische HYVET-Studie aus dem Jahre 2008 hatte ergeben, dass eine antihypertensive Therapie bei betagten Hypertonikern die kardiovaskuläre Morbidität, insbesondere Schlaganfälle, und die Letalität signifikant reduziert (1). Zur Erinnerung: in HYVET wurden 3.845 Hypertoniker > 80 Jahre (im Mittel 83,6 Jahre) mit systolischen Blutdruckwerten über 160 mm Hg und sehr wenigen Komorbiditäten doppeltblind für eine Behandlung mit 1,5 mg/d retardiertem Indapamid (Natrilix®, Generika) oder Plazebo randomisiert (Step 1). War bei den Folgevisiten der Blutdruck noch über dem systolischen Zielwert von 150 mm Hg, konnte der ACE-Hemmer Perindopril (Coversum®, Generika) 2 mg/d (Step 2) oder 4 mg/d (Step 3) bzw. Plazebo hinzugefügt werden.

Nach zwei Jahren wurde der RR-Zielwert von 48% in der Verum- und von 19,9% in der Plazebo-Gruppe erreicht. Der Blutdruck lag mit Verum durchschnittlich um 15/6 mm Hg niedriger als mit Plazebo. HYVET wurde vorzeitig nach einer medianen Behandlungsdauer von 1,8 Jahren beendet, da in der Plazebo-Gruppe signifikant mehr Patienten gestorben waren (196 vs. 235). Insgesamt war die Letalität in dieser Studie mit ca. 5%/Jahr für diese Altersgruppe sehr gering, was in der geringen Zahl der Komorbiditäten begründet sein dürfte (3% Herzinsuffizienz, 7% Diabetes).

Nach der Intention-to-treat-Analyse kam es bis zum Studienabbruch unter Verum zu 30% weniger nicht-tödlichen Schlaganfällen und zu 39% weniger Schlaganfall-bedingten Todesfällen als unter Plazebo. Die Gesamtletalität wurde durch die antihypertensive Therapie um 21% und die Inzidenz von Herzinsuffizienz um 64% reduziert.

Die „Number Needed to Treat” (NNT) zur Verhinderung eines Schlaganfalls innerhalb von zwei Jahren wurde von den Autoren mit 94 und für einen Todesfall mit 40 berechnet. Es gab keine Hinweise darauf, dass die antihypertensive Therapie von den alten Hypertonikern schlechter vertragen wurde als das Plazebo. Daraus wurde seinerzeit abgeleitet, dass eine antihypertensive Therapie mit Indapamid und ggf. ACE-Hemmer für Hypertoniker > 80 Jahre sinnvoll ist (1). Einschränkend muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Patienten ansonsten recht gesund waren. Ob also die Ergebnisse auf polymorbide ältere Patienten übertragbar sind, ist nicht klar. Generell dürfte man auch hier annehmen: je größer das Grundrisiko, desto größer auch der mögliche Nutzen einer Therapie.

Jetzt wurde von den HYVET-Autoren eine „Extension Study” publiziert, in der ein Teil der Patienten, die zum Zeitpunkt des Studienabbruchs noch doppeltblind behandelt wurden (n = 1.882), ein weiteres Jahr lang – nun offen und auch alle mit der Studienmedikation – weiterbehandelt wurden (2). Es sollte durch diese verlängerte Nachbeobachtung geklärt werden, ob der frühzeitige Einsatz einer antihypertensiven Therapie für Patienten anhaltend vorteilhaft ist. Für eine längere Nachbeobachtungsphase reichten die finanziellen Mittel (öffentliche Gelder) leider nicht mehr.

Insgesamt erklärten sich 1.712 Patienten für die Verlängerung der Studie bereit und zwar 924 der ursprünglich mit Verum und 788 der mit Plazebo behandelten. Die Therapie wurde bei allen Patienten von Neuem begonnen (open label) erst mit Indapamid allein. Danach, falls das Therapieziel (systolischer RR < 150 mm Hg) nicht erreicht wurde, wurde Perindopril (erst 2 mg/d dann 4 mg/d) hinzugefügt und, wenn notwendig, auch noch weitere Antihypertensiva.

1.559 Patienten beendeten diese einjährige Verlängerungsphase, 822 vormals mit Verum und 737 mit Plazebo behandelte. Am Ende des Verlängerungsjahres waren beide Kohorten ähnlich antihypertensiv behandelt: 24% nur mit Indapamid, 21% zusätzlich mit 2 mg/d und 54% mit 4 mg/d Perindopril. Weniger als 2% der Patienten benötigten neben der Studienmedikation zusätzlich andere Antihypertensiva. Nach diesem Jahr offener antihypertensiver Behandlung fand sich kein signifikanter Unterschied mehr zwischen den Blutdruckwerten in der ehemaligen Verum- und der Plazebo-Gruppe (143/76 vs. 144/76 mm Hg).

Die klinischen Ereignisse sind in Tab. 1 dargestellt. Es zeigte sich trotz nun gleicher antihypertensiver Behandlung auch im Folgejahr eine signifikante Reduktion der Letalität in der Verum-Kohorte. Es scheint also, dass der möglichst frühe Beginn einer antihypertensiven Therapie einen nachhaltigen Effekt hat. Bei der Häufigkeit von Schlaganfällen und der Entwicklung einer Herzinsuffizienz fanden sich dagegen keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen den beiden Kohorten. Diese Ereignisse scheinen eher von der Blutdruckeinstellung per se abzuhängen, also ein unmittelbarer Arzneimitteleffekt zu sein.

Fazit: Die HYVET-Studie hat plazebokontrolliert randomisiert doppeltblind nachgewiesen, dass eine antihypertensive Therapie bei betagten Hypertonikern (systolische Zielwerte < 150 mm Hg) die Inzidenz von Schlaganfällen und Herzinsuffizienz signifikant senkt und die Letalität um 20% reduziert. Die HYVET-Extension-Studie zeigt nun, dass man diese Patienten möglichst frühzeitig antihypertensiv behandeln sollte, weil der Überlebensvorteil in der Verum-Gruppe über mindestens ein Jahr weiter zunimmt, auch wenn die Patienten aus der Plazebo-Gruppe nun gleich effektiv therapiert werden.

Literatur

  1. Beckett, N.S., et al. (HYVET = HYpertension in the VeryElderly Trial): N. Engl. J. Med. 2008, 358, 1887.  Link zur Quelle AMB 2008, 42, 52. Link zur Quelle
  2. Beckett, N., et al.(HYVET = HYpertension in the Very Elderly Trial):BMJ 2011, 344, d7541. Link zur Quelle

Schlagworte zum Artikel:

ACE-Hemmer, Alter, Akutes Koronarsyndrom, Angina pectoris, Apoplektischer Insult, Arteriosklerose, Herzinfarkt, Hirninfarkt, Hypertonie, HYVET-Extension-Studie, HYVET-Studie, Indapamid, Koronare Herzkrankheit, Myokardinfarkt, Perindopril, Schlaganfall,

 

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