AMB 2010, 44, 61a

Allopurinol hoch dosiert zur prophylaktischen Behandlung der Angina pectoris?

Im Lancet erschien kürzlich eine randomisierte, plazebokontrollierte Crossover-Studie zur Behandlung der stabilen Angina pectoris (AP) mit hoch dosiertem Allopurinol (1). Allopurinol reduziert offenbar den myokardialen Sauerstoffverbrauch für eine gegebene Herzauswurfleistung, möglicherweise durch Erhöhung der Konzentration von AMP in den Myozyten als Substrat für die ATP-Synthese. Auch soll die Funktion des koronaren Endothels verbessert werden. Der genaue Mechanismus ist aber nicht bekannt.

A. Noman et al. aus Dundee, Schottland (1), rekrutierten in drei Krankenhäusern der Tay-Region 65 Patienten (darunter 10 Frauen) mit stabiler Angina pectoris im mittleren Alter von 64,6 Jahren, die in den letzten Monaten keine Revaskularisation der Koronararterien erhalten hatten, deren Nierenfunktion normal war und die körperlich in der Lage waren, wiederholte Standard-Ergometertests durchzuführen. Alle Patienten hatten eine angiografisch gesicherte Koronarsklerose. Sie durften alle zuvor verordneten Medikamente weiter einnehmen. Die Studie bestand in der je sechswöchigen doppeltblinden Einnahme von Allopurinol oder Plazebo gefolgt von Plazebo oder Allopurinol ohne „washout”. In der ersten Woche wurden 100 mg/d Allopurinol (oder Plazebo), in der zweiten Woche 300 mg/d und danach zweimal 300 mg/d gegeben. Initial wurden zwei basale Standard-Ergometertests mit folgenden Zielkriterien durchgeführt: Gesamt-Ergometer-Zeit; Zeit bis zu einer ST-Strecken-Senkung > 1 mm im EKG mit 12 Ableitungen; Zeit bis zum Auftreten von AP. Am Ende jeder Behandlungsperiode wurde der Standard-Ergometertest wiederholt. Die Tests nach Plazebo oder Allopurinol wurden gepoolt und verblindet ausgewertet.

Ergebnisse: Die Gesamt-Ergometer-Zeit verlängerte sich von im Mittel basal 301 Sekunden nach Allopurinol um 92 Sekunden, nach Plazebo um sechs Sekunden. Die Zeit bis zur ST-Strecken-Senkung verlängerte sich von basal 232 Sekunden um 66 bzw. 17 Sekunden und die Zeit bis zum Auftreten von AP von basal 234 Sekunden um 70 bzw. 38 Sekunden. Alle Unterschiede sind signifikant. Eine offenbar nicht systematische Befragung ergab, dass viele Patienten während der Einnahme von Allopurinol weniger AP-Episoden hatten und seltener ein Nitropräparat anwenden mussten.

Laborkontrollen ergaben nur eine geringe Erhöhung der Alanin-Transaminase. Bei diesen nicht herzinsuffizienten Patienten fiel das Brain natriuretic peptide (BNP) unter Allopurinol-Behandlung signifikant ab, nicht aber unter Plazebo. Das CRP änderte sich nicht.

Die Autoren halten die Ergebnisse für klinisch bedeutsam, da Allopurinol vor dem Hintergrund einer für optimal gehaltenen Basistherapie die Leistung und Beschwerden im Ergometertest deutlich verbesserte. Zudem sei die Therapie gut verträglich und preiswert. Die Kommentatoren der Studie im gleichen Heft des Lancet, ebenfalls aus Schottland (2), diskutieren den klinischen Effekt und mögliche Wirkmechanismen von Allopurinol bei AP-Patienten und vergleichen sie mit denen anderer neuerer Arzneimittel (Nicorandil = Dancor®, Ivabradin = Procoralan® [3], Trimetazidin = Vastarel®, Ranolazin = Ranexa®), die zum Teil für die Therapie der AP zugelassen sind oder noch in Studien geprüft werden.

Allopurinol müsste im Falle einer Zulassung für diese Indikation in einer bisher für die Langzeitmedikation nicht erprobten hohen Dosierung eingenommen werden, gegen die wir erhebliche Bedenken haben. Allopurinol führt nicht selten zu makulopapulösen Hautausschlägen und ist in Europa die häufigste Ursache des Stevens-Johnson-Syndroms (Toxische epidermale Nekrolyse; 4). Es kann zu einer granulomatösen Hepatitis und zur allergischen interstitiellen Nephritis führen und interferiert mit zahlreichen, potenziell gefährlichen Arzneimitteln. Die Toxizität nimmt bei Dosen > 300 mg/d zu (5).

Die Studie wurde durch die British Heart Foundation unterstützt. Die Universität von Dundee und einer der Koautoren (A.D. Struthers) haben die Verwendung von Xanthinoxidase-Inhibitoren zur Therapie der Angina pectoris als Patent angemeldet. Möglicherweise ist es auch kein Zufall, dass das weitgehend gesicherte Monopol von Allopurinol als Harnsäuresenker in der Therapie der Gicht zur Zeit durch die neue Substanz Febuxostat (Adenuric®, s. 6), einen Nicht-Purin-Hemmer der Xanthinoxidase, angegriffen wird. Aus der besprochenen Studie geht nicht hervor, ob Pharmafirmen als Sponsoren beteiligt waren.

Fazit: Allopurinol in einer Tagesdosis von zweimal 300 mg/d scheint in dieser Studie bei bereits schulmäßig medikamentös behandelten Patienten mit stabiler Angina pectoris die Belastungstoleranz zu erhöhen. Wegen der hohen Dosierung sind jedoch häufige und schwere UAW zu erwarten, die in einer Kurzzeitstudie mit wenigen Patienten nicht erfasst werden können.

Literatur

  1. Noman, A., et al.: Lancet 2010, 375, 2161. Link zur Quelle
  2. Antony, R., und Dargie, H.J.: Lancet 2010, 375, 2126. Link zur Quelle
  3. AMB 2008, 42, 87. Link zur Quelle
  4. AMB 1993, 27, 09.
  5. Arzneiverordnungen, 22. Auflage, mmi-Verlag 2009, S. 1064.
  6. Becker, M.A., et al. (FACT = Febuxostat versus Allopurinol Controlled Trial): N. Engl. J. Med. 2005, 353, 2450. Link zur Quelle S.a. AMB 2006, 40, 19. Link zur Quelle

 

Schlagworte zum Artikel:

Allopurinol, Angina pectoris, FACT-Studie, Febuxostat, Herzinfarkt, Koronare Herzkrankheit, Myokardinfarkt, Xanthinoxidase,

 

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