AMB 2011, 45, 11
Akut-PCI oder Thrombolyse beim Myokardinfarkt im höheren Lebensalter?
Wie schwierig es ist, Evidenz für eine etablierte Therapie nachzuweisen, zeigt der nach wie vor unklare Stellenwert der primären Koronarangioplastie (primäre PCI) gegenüber der Fibrinolysetherapie beim akuten ST-Hebungsinfarkt (STEMI) des älteren Menschen.
Generell sollte nach den aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie bei einem STEMI innerhalb der ersten 12 Stunden eine Reperfusion angestrebt werden (Klasse Ia-Indikation). Die Wahl der Reperfusionsstrategie richtet sich dabei in erster Linie nach der Erreichbarkeit eines Herzkatheterplatzes. Eine Akut-PCI ist zu bevorzugen, wenn ein erfahrenes Team innerhalb von maximal zwei Stunden eine Ballonaufdehnung garantieren kann. Ist dies nicht der Fall, soll – falls keine Kontraindikationen bestehen – primär thrombolysiert werden (1).
Diese Empfehlungen gehen leider nicht auf alte und multimorbide Patienten ein. Bei diesen Patienten ist die Therapieentscheidung oft schwierig. In den wichtigsten europäischen Herzinfarktregistern ist rund ein Drittel aller Herzinfarktpatienten über 75 Jahre alt mit steigender Tendenz (2). Der Nutzen der koronaren Fibrinolyse im höheren Alter ist umstritten, insbesondere, weil das Blutungsrisiko erhöht ist. Andererseits sind aber auch die Risiken einer PCI bei alten Patienten deutlich höher als bei jüngeren. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch der Eindruck verfestigt, dass die Akut-PCI bei alten Menschen effektiver und komplikationsärmer ist als die Fibrinolyse. Dieser Eindruck wurde durch Registerdaten und sehr kleine Studien erweckt und gestützt. Doch stimmt dieser Eindruck?
Gerade einmal drei randomisierte Studien wurden in den vergangenen 15 Jahren zu dieser Frage durchgeführt (3-5). Eine sehr kleine niederländische Studie mit 87 Patienten sprach für die Akut-PCI (3). Eine größere Studie (Senior PAMI, USA 2000-2005) mit 481 Patienten wurde zwar registriert (4), jedoch wegen Rekrutierungsproblemen vorzeitig abgebrochen. Ihre Ergebnisse wurden nur auf Kongressen vorgestellt und nie als Originalarbeit publiziert. Senior PAMI konnte – soweit aus Abstracts im Internet zu entnehmen – keine Überlegenheit der PCI gegenüber der Thrombolyse bei Infarktpatienten > 70 Jahren nachweisen. 2005 wurde eine dritte randomisierte Studie initiiert. Diese, überwiegend durch öffentliche Gelder finanzierte spanische Multizenterstudie mit dem Akronym TRIANA schloss zwischen März 2005 und Dezember 2009 an 23 Zentren insgesamt 266 Patienten ≥ 75 Jahren mit einem weniger als sechs Stunden alten STEMI ein (5). Die Patienten waren im Mittel 81 Jahre alt (75-94 Jahre). 132 Patienten wurden zur primären PCI und 134 zur Thrombolyse mit Tenecteplase (Metalyse®) randomisiert. Die Risiken und Infarktcharakteristika waren in den beiden Gruppen sehr ähnlich. Die klinischen Ergebnisse sind in Tab. 1 dargestellt. Es zeigte sich nach 30 Tagen zwar in allen Endpunkten ein gewisser Vorteil für die primäre PCI, statistisch waren diese Unterschiede jedoch nicht signifikant. Das blieb auch so nach einem Jahr; hier waren die Unterschiede zwischen den Gruppen sogar noch geringer.
Wirklich bemerkenswert an TRIANA ist jedoch, dass sie, wie schon Senior PAMI, wegen mangelnder Patientenrekrutierung vorzeitig abgebrochen werden musste. Zur Überprüfung der Grundthese (Überlegenheit der primären PCI gegenüber Fibrinolyse mit Tenecteplase) wären 570 Patienten notwendig gewesen. Somit kann auch TRIANA diese Frage nicht beantworten.
Leider berichten die Autoren nicht, warum es in nur 13 von 23 Zentren gelungen ist, mehr als fünf Patienten von ≥ 75 Jahren in fast vier Jahren für die Studie zu rekrutieren. Ist es so schwierig, alte Patienten für Studien zu gewinnen? Statt dessen folgern die Autoren aus ihren Daten, dass „es so scheint, als sei die primäre PCI die beste Reperfusionstherapie beim STEMI auch bei den ältesten Patienten”. Einen Beweis liefert diese Studie allerdings nicht.
Fazit: Klinische Studien mit alten und multimorbiden Patienten sind eine große Herausforderung. Am Beispiel der optimalen Reperfusionstherapie beim akuten Myokardinfarkt im höheren Lebensalter sieht man, wie gering die Evidenz für eine im klinischen Alltag etablierte Therapie wie die Akut-PCI ist, auch nach nahezu zwei Jahrzehnten klinischer Forschung. Die Akut-PCI ist die Therapie der Wahl für betagte Patienten, auch ohne hinreichende Evidenz. Somit ist sie formal nur eine Klasse-IV-Empfehlung (Expertenkonsens). Anscheinend ist es nicht möglich, eine ausreichend statistisch „gepowerte” Studie mit dieser wichtigen Patientengruppe durchzuführen. Bis dahin sollte das Lebensalter aber auch keine Kontraindikation für eine indizierte Thrombolyse sein.
Literatur
- Van de Werf, F., et al.:Eur. Heart J. 2008, 29,2909.
- AMB 2006, 40, 09.
- de Boer, M.J., et al.: J.Am. Coll. Cardiol. 2002, 39,1723.
- http://www.clinicaltrial.gov
- Bueno, H., et al. (TRIANA= TRatamiento del Infarto Agudo de miocardio eN Ancianos):Eur. Heart J. 2011, 32, 51.
Schlagworte zum Artikel:
Herzinfarkt, Lysetherapie, Myokardinfarkt, PCI, Perkutane Koronarintervention, Perkutane transluminale koronare Angioplastie, PTCA, PTCA, Tenecteplase, Thrombolysetherapie, TRIANA-Studie,
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