AMB 2011, 45, 29

 

Pregabalin – rasant steigende Verordnungszahlen für ein Arzneimittel mit Risiken und ohne Vorteil

 

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weist in einer aktuellen Stellungnahme im Deutschen Ärzteblatt darauf hin, dass Pregabalin (Lyrica®) ein nicht unerhebliches Abhängigkeitspotenzial hat (1). Gleichzeitig wird berichtet, dass die Verordnung des Präparats rasant zunimmt. 2009 wurden 45,7 Mio. DDD verordnet, was einer Steigerung von 22% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Der größte Teil der Verordnungen entfällt dabei auf die Behandlung neuropathischer Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie (2). Pregabalin ist weltweit zu einem Blockbuster unter den patentgeschützten Arzneimitteln avanciert mit einem Umsatz in Deutschland im Jahr 2009 von 220 Mio. € (3). Diese Zahlen geben Anlass zu fragen, ob diese Beliebtheit wirklich gerechtfertigt ist.

 

Pregabalin wurde im Jahr 2004 in Europa als Zusatzbehandlung bei fokaler Epilepsie und zur Therapie neuropathischer Schmerzen sowie generalisierter Angststörungen zugelassen. In der Bewertung neuer Arzneimittel wurde es seinerzeit als Präparat der Gruppe C eingestuft, das heißt als „Analogpräparat ohne Vorteil gegenüber bereits eingeführten Arzneimitteln” (4). Tatsächlich sieht es mit der Evidenz für den Zusatznutzen der Substanz eher mager aus. Zwar ergaben plazebokontrollierte Zulassungsstudien, die der EMA vorgelegt wurden, dass bei 35% der Patienten mit neuropathischen Schmerzen eine Reduktion des Schmerz-Scores von mehr als 50% auf der visuellen Analogskala erzielt wird gegenüber nur 18% bei Plazebo (5). Dies entspricht einer Number needed to treat (NNT) von 6. Allerdings waren Patienten, deren Beschwerden nicht auf Gabapentin ansprachen, explizit von der Studienteilnahme ausgenommen, um „Non-Responder” bei dem ähnlichen Wirkmechanismus von vornherein auszuschließen. Die Zahlen der Zulassungsstudien decken sich weitgehend mit der Beurteilung eines 2009 erschienenen Cochrane-Reviews (6). Hier wurde aus den Ergebnissen von 19 randomisierten kontrollierten Studien für eine 50%ige Schmerzreduktion eine NNT von 3,9 für die postherpetische Neuralgie, 5,0 für die diabetische Polyneuropathie, 5,6 für zentrale neuropathische Schmerzen und 11 für die Fibromyalgie errechnet (6). Ein Vorteil gegenüber anderen zur Behandlung neuropathischer Schmerzen zugelassenen Substanzen (z.B. Gabapentin, Carbamazepin, Amitriptylin) ist mangels direkter Vergleichsstudien jedoch nicht belegt. Der indirekte Vergleich zeigt aber, dass Pregabalin offenbar nicht effektiver ist als Gabapentin. Für diese Substanz liegen die NNT bei postherpetischem Schmerz ebenfalls bei 3,9, bei diabetischer Neuropathie sogar nur bei 2,9 (7). Allerdings scheint Pregabalin mit einem höheren Risiko für UAW behaftet zu sein als Gabapentin. Während in den Gabapentin-Studien des Cochrane-Reviews nur durchschnittlich 14% der Behandelten die Therapie wegen UAW abbrachen, lag die Abbruchrate bei Pregabalin bei 18%-28%. Als wichtigste UAW werden in dem Cochrane-Review Schwindel und Schläfrigkeit genannt.

 

Die nun von der AkdÄ betonte UAW Abhängigkeitsentwicklung wird zwar in dem Cochrane-Review nicht eigens erwähnt, sie scheint jedoch schon lange bekannt zu sein. In den USA wurde die Substanz nur mit dem Hinweis auf ihr Missbrauchspotenzial zugelassen (8). Offenbar kann Pregabalin als Analogon der Gamma-Aminobuttersäure (GABA) aufgrund seiner Wirkung auf GABA-Rezeptoren ähnlich wie Alkohol und Benzodiazepine euphorisierend wirken. Diese Wirkung führte auch zum Missbrauch mit Tagesdosen von bis zu 7500 mg, die der Anlass für die aktuelle Meldung der AkdÄ sind. Nach Absetzen von Pregabalin kann es zu ausgeprägten Entzugserscheinungen mit überschießenden Schmerzen, Depressionen, Schlaflosigkeit und Angstzuständen kommen. Bereits seit 2006 findet sich ein Hinweis auf die Entzugsproblematik in der Fachinformation, aber erst kürzlich wurde ein Warnhinweis wegen des Abhängigkeitspotenzials aufgenommen (9). Insgesamt muss also vor dem großzügigen Einsatz dieser Substanz gewarnt werden. Sie sollte ausgewählten Patienten ohne Therapiealternativen vorbehalten bleiben.

 

Fazit: Pregabalin ist nach derzeitiger Studienlage herkömmlichen Arzneimitteln zur Behandlung neuropathischer Schmerzen nicht überlegen, hat aber ein höheres UAW-Risiko und zudem ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial mit Entzugserscheinungen nach dem Absetzen. Das Absetzen sollte daher immer ausschleichend erfolgen. Die Indikation sollte eng gestellt werden, d.h. allenfalls als Reservepräparat bei Versagen anderer Therapieoptionen.

 

Literatur

  1. Dtsch. Arztebl. 2011, 108, A183. Link zur Quelle
  2. http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/WA/Archiv/Pregabalin.pdf Link zur Quelle
  3. Schwabe, U., undPaffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2010. Springer-Verlag Berlin HeidelbergNew York.
  4. Schwabe, U., undPaffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2005. Springer-Verlag Berlin,Heidelberg, New York. Vgl. AMB 2006, 40, 02. Link zur Quelle
  5. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  6. Moore, R.A.,et al.: Link zur Quelle
  7. Wiffen, P., et al.: Link zur Quelle
  8. http://searchjustice.usdoj.gov/… Link zur Quelle
  9. Pfizer Pharma GmbH:Fachinformation ”Lyrica® Hartkapseln”. Stand: August 2010.

 

 

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Diabetes mellitus, Diabetische Polyneuropathie, Fibromyalgie, Gabapentin, Neuropathie, Neuropathie, Neuropathische Schmerzen,
Postherpetische Neuropathie, Pregabalin,

 

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